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Ausgabe 2-3/2023

42_SOZIALES ENGAGEMENT

42_SOZIALES ENGAGEMENT ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de Im Ausland und in Deutschland KIEFERORTHOPÄDIN AUS BÜHL HILFT RANDGRUPPEN Wellblechcontainer stehen hier dicht an dicht. Vereinzelt finden sich dazwischen mit Planen abgedeckte Unterkünfte. In den Straßen spielen Kinder, teilweise ohne Schuhe. Schnüre sind zwischen den Zelten und Containern gespannt, auf denen Wäschestücke trocknen. Direkt hinter der Ansiedlung ist nichts mehr zu sehen. Mit Sicherheit ist dies kein Ort, den man sich für einen freiwilligen Aufenthalt auswählt, oder doch? Für Kieferorthopädin Dr. Kirsten Holst aus Bühl sind Unterkünfte wie diese bereits seit Jahren Etappen ihrer Mission. Sie behandelt auf dem Straßenstrich, im Bordell oder in den Flüchtlingscamps dieser Welt. Obdachlose gehören ebenso zu ihrer Patientenschaft wie Gefangene. Für Dr. Kirsten Holst spielt es keine Rolle, woher ihr Gegenüber kommt und was für eine Geschichte er oder sie hat. Entscheidend für sie ist vielmehr, ob sie all‘ die Utensilien bei sich hat, die eine effektive Hilfe möglich machen. HILFSMISSION Seit 2010 ist die Kieferorthopädin im Einsatz, um jenen zu helfen, die nicht auf der Sonnenseite der Gesellschaft stehen. Was mit einem Auslandsaufenthalt auf den Philippinen begann, entwickelte sich im Laufe der letzten zwölf Jahren zu einer Hilfsmission in Eigenregie. 1994 eröffnete die Kieferorthopädin, die in Göttingen studiert hat, ihre eigene Praxis. Immer schon hatte sie dabei den Wunsch, ärmeren Menschen im Ausland durch ihre Profession zu helfen. Als Mutter von drei kleinen Kindern schob sie diesen Wunsch jedoch jahrelang zur Seite und musste anderen Belangen Priorität geben. Als der Nachwuchs jedoch alt genug war, wurden die Koffer gepackt und Dr. Kirsten Holst setzte ihren Wunsch in die Tat um. Der ersten Reise auf die Philippinen folgten weitere rund zehn Folgeaufenthalte in Südostasien. Dort zog sie hauptsächlich Zähne, erinnert sie sich an die Anfänge ihrer ehrenamtlichen Einsätze, denn eine weitere medizinische Nachbehandlung war damals bedauerlicherweise nicht gegeben. Urlaub machte die Kieferorthopädin in den Folgejahren keinen mehr, son- Flüchtlingscamp. Behandlungen zwischen Zelten aus Plastikplanen sind für die Kieferorthopädin nichts Ungewohntes. Sie lindert Schmerzen an allen Orten. dern verbrachte ihre arbeitsfreie Zeit nur noch in Ländern wie Myanmar, Nigeria, Uganda, Kenia, Haiti oder Kambodscha, um die Bevölkerung vor Ort zahnärztlich zu behandeln. Immer wieder beließ sie es nicht dabei, allein die Menschen in den Siedlungen zu unterstützen, sondern suchte bewusst und zielgerichtet die örtlichen Gefängnisse oder Bordelle auf. In den letzten Jahren reiste sie zudem in verschiedene Flüchtlingslager des Libanons oder nach Dohuk, Hauptstadt des Gouvernements Dahuk in der autonomen Region Kurdistan im Irak, wo seit 2014 rund 12.000 Jesiden vor der Terrormiliz des IS Schutz suchen. ENTWICKLUNG Was machen solche Aufenthalte aus einem Menschen? Immer häufiger saß Dr. Kirsten Holst nach einem Einsatz im Flieger zurück nach Deutschland und spürte, wie ihre Ablehnung gegenüber der Wohlstandsgesellschaft, vor allem Europas, wuchs. „Es war mitunter schwierig, wenn ich einige Tage zuvor noch in den Elendsvierteln der Welt unterwegs war, Menschen behandelt hatte, die ums Überleben kämpften und hier in Deutschland Jugendliche in der Behandlung hatte, die sich beschwerten, weil eine rein optische Zahnstellungskorrektur nicht ihren Wunschvorstellungen entsprach.“ Immer häufiger stieß sich Dr. Holst an Fotos: Privat

ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de 43_SOZIALES ENGAGEMENT solchen Momenten und spürte, dass sie sich aus ihrer aktuellen Situation befreien musste, um ihren Seelenfrieden wieder zu erlangen. ENTSCHLUSS In ihrem Glauben fand die Kieferorthopädin schließlich die Antworten, nach denen sie suchte: „Im Dialog mit Gott entschloss ich mich, meine Praxis in Bühl frühzeitig aufzugeben und nur noch ehrenamtlich Menschen zu behandeln, die Hilfe dringend benötigten“. Die Resonanz seitens ihres Umfelds war dabei keinesfalls nur positiv. „Viele äußerten sich eher süffisant und sagten, es sei schön, dass ich mir das leisten könne“, schildert Dr. Holst die Reaktionen aus ihrer direkten Umgebung. Doch mitnichten konnte sich die alleinerziehende Mutter dieses neugewählte Leben aufgrund von gebildeten Rücklagen oder anderen Einkünften finanziell leisten. „Ich hatte allein meinen Wunsch, etwas zu tun und meinen Deal mit Gott.“ Und bis heute funktioniert diese Übereinkunft. 2016 beschließt Dr. Holst Nägel mit Köpfen zu machen und bietet ihr Praxis zum Verkauf an. Diese wurde schneller verkauft als ursprünglich geplant, und somit stand dem Neuanfang 2017 nichts mehr im Wege. Auch die Spenden, die seitdem den ehrenamtlichen Einsatz von Dr. Kirsten Holst tragen, bleiben seither nicht aus. WEITERE HILFE Allein die Reisen ins Ausland waren der Zahnärztin jedoch nicht genug. Zudem hatte sie aufgrund ihrer Praxisabgabe zusätzliche zeitliche Kapazität. Aus diesem Grund nahm sie Kontakt zur Offenburger Pflasterstube auf, einer Einrich- Empathie. Die Authentizität und das Mitgefühl Dr. Kirsten Holsts überträgt sich auf die von ihr behandelten Menschen. Obdachlosenhilfe. Bei Obdachlosigkeit geht die Empfindsamkeit für den eigenen Körper verloren. Als Krankheit gelten nur noch frische Wunden, hohes Fieber und starke Schmerzen. Dr. Kirsten Holst weiß um diese Entwicklung und begegnet den Menschen würdevoll. tung für obdachlose Menschen, und kümmert sich seitdem auch um deren Gebisse. Über die Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“ wurde ihr in dieser Zeit eine mobile Zahnarzteinheit vermittelt, die es ihr fortan ermöglicht, den Obdachlosen nicht nur Zähne zu ziehen, sondern auch Füllungen zu legen. Zudem erhält sie ehrenamtliche Unterstützung von einem Zahntechniker, der ihr kostenlos Gebisse anfertigt, damit die Obdachlosen wieder lächeln können. Über den Kontakt zu einer christlichen Organisation weitete sich ihre Hilfstätigkeit zusätzlich aus. Seitdem ist Dr. Holst auch auf dem Straßenstrich in Karlsruhe und den dortigen Bordellen unterwegs, um Prostituierte ehrenamtlich zahnmedizinisch zu betreuen. Natürlich wird sie auch bei diesen Einsätzen mit viel menschlichem Leid und den schwierigsten Biografien konfrontiert. Doch im Glauben verankert, findet sie Kraft, zu helfen. Eine Zufallsbegegnung erweitert den Kreis derer, denen Holst durch ihr Tun Schmerzen nimmt, erneut: Die Leiterin des Bühler Frauengefängnisses sprach sie beiläufig auf ihre mitgeführte Behandlungseinheit an und fragte, ob sie verreisen wolle. Ins Gespräch bekommen, berichtete die Kieferorthopädin von ihren Einsätzen für Obdachlose und Prostituierte. Am Ende des Gesprächs war ein Termin zum Besuch im Gefängnis vereinbart und mittlerweile findet sich die Zahnärztin dort regelmäßig zu den Behandlungen ein. Auch für diese erhält sie lediglich eine Aufwandsentschädigung. Alle ihre Einsätze sind spendenfinanziert. Zu Beginn trug sie die Kosten ihrer Auslandseinsätze noch ausschließlich selbst, doch mittlerweile sind die Kosten vor allem für die mitgeführten Medikamente immens. Für einen 14-tägigen Hilfseinsatz im Ausland werden im Schnitt 2000 Schmerzpillen und 1400 antibiotische Tabletten benötigt. Bezog sie diese früher noch über das Medikamentenhilfswerk, lassen verschiedene Gesetze es heute nur noch zu, dass bestimmte Speditionen Medikamenten ins Ausland schaffen. Dies ist mit erheblichen Kosten verbunden. Zwar haben die Spenden bislang immer alle Projekte Holsts finanziert, dennoch freut sie sich stets über neue Unterstützung – zumal die Arbeit und auch die Not nicht weniger werden. ZIEL Viele Orte hat Dr. Holst in den letzten Jahren bereist und dabei zahlreichen Menschen das Leben ein wenig erleichtert. Auch zukünftig wird die 63-Jährige regelmäßig ihre Koffer und packen, um den Ärmsten dieser Welt einige Schmerzen zu nehmen. Auf die Frage, welches eines der nächsten Ziele sein sollte, überlegt sie lange: Afghanistan würde sie reizen, denn die Menschen dort sind vom Rest der Welt nahezu verlassen worden. Allerdings schreckt sie die aktuelle Lage und die dortige Gefahrensituation. Doch mit Sicherheit wird ihr Deal mit Gott sie auch bei diesem Einsatz nicht im Stich lassen. Cornelia Schwarz INFO Konkordat hilft – Gemeinde in der Konkordia Verwendungszweck: Zahnaerztliche Hilfseinsaetze IBAN: DE75 6602 0500 0008 7911 01 BIC: BFS WDE 33 KRL

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