32_FORTBILDUNG ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de 3 Foto: S. Fortmeier Parodontitis während der Schwangerschaft. Eine unbehandelte Parodontitis kann während der Schwangerschaft zu zusätzlichen Attachmentverlusten führen. konnten unter anderem Zusammenhänge zwischen Parodontitis und verschiedenen Risikofaktoren für Infertilität wie Endometriose, Übergewicht, bakterieller Vaginose und dem polyzystischem Ovarsyndrom gefunden werden 28 . Auch hier sind verschiedene Mechanismen denkbar, wobei eine erhöhte systemische Entzündungslast als Erklärung favorisiert wird. Bei Männern scheint die Parodontitis das Risiko männlicher Unfruchtbarkeit aufgrund negativer Auswirkungen auf die Spermienqualität und der Begünstigung erektiler Dysfunktion zu erhöhen 29, 30 . EINFLUSSFAKTOR LEBENSSTIL Grundsätzlich ist das Vorhandensein von supra- und subgingivalem Biofilm die zwingende Voraussetzung für die Entstehung der häufigsten Formen von Gingivitis oder Parodontitis. Jedoch spielen lebensstilbedingte Einflüsse als zusätzliche Faktoren eine nicht unerhebliche Rolle. Eine breite Basis an Evidenz gibt es hier bezüglich des Einflusses von Diabetes mellitus 31 und Tabakkonsum 32 . Während Diabetes das Risiko für die Entstehung einer Parodontitis deutlich erhöht 33 , konnte dies auch bei Schwangeren in Form eines Gestationsdiabetes bestätigt werden 34 . Diese spezielle Form der Glukoseintoleranz während der Schwangerschaft ist zumeist bedingt durch eine ungünstige Ernährung, Übergewicht und Bewegungsmangel und kann zu schweren Schwangerschaftskomplikationen führen. Das Auftreten der Erkrankung liegt Zahlen zufolge weltweit bei 15 Prozent aller Schwangerschaften, mit steigender Tendenz, und stellt das Gesundheitssystem bereits jetzt vor eine große Herausforderung 35 . Besonders hervorzuheben ist dabei auch, dass ein Gestationsdiabetes bereits das heranwachsende Kind im Mutterleib vorprägt und das Risiko für eine Diabeteserkrankung im Laufe des Lebens deutlich erhöht ist 36. Die Ernährung an sich kann jedoch auch ohne das Vorliegen einer Diabeteserkrankung den Zustand der Gingiva beeinflussen. In wissenschaftlichen Untersuchungen konnte gezeigt werden, dass der hauptsächliche Verzehr von ballaststoffhaltigen unverarbeiteten Lebensmitteln wie Obst, Gemüse oder Hülsenfrüchten und der weitestgehende Verzicht auf zugesetzten Zucker und Fleisch zu einer deutlichen Entzündungsreduktion der Gingiva führt 37 . Diese Erkenntnisse untermauern die geltenden allgemeinen Ernährungsempfehlungen für Schwangere, denen neben den genannten Punkten bezüglich der Ernährung zusätzlich regelmäßige körperliche Aktivität empfohlen wird 38 . Somit ist auch das zahnärztliche Team bei der Aufklärung über einen gesunden Lebensstil gefragt und sollte die Schwangere dahingehend ebenfalls unterstützen. Dies gilt auch für den Risikofaktor Tabakkonsum, der das Auftreten und die Progression einer Parodontitis maßgeblich beeinflussen kann 39 . Vorteilhaft ist es hier, dass die überwiegende Zahl der Frauen während einer Schwangerschaft auf das Rauchen verzichtet. Jedoch kann hier von zahnärztlicher Seite die Motivation durch Gespräche und Information gesteigert werden, das Nichtrauchen auch nach der Geburt des Kindes beizubehalten. GINGIVITIS UND PARODONTITIS Eine parodontale Untersuchung durch die Erhebung eines parodontalen Screeningindex (PSI) vor geplanter Schwangerschaft oder spätestens im ersten Schwangerschaftsdrittel ist unbedingt empfehlenswert. Zudem sollte die Patientin über die erhöhte Empfänglichkeit für gingivale Entzündungen frühzeitig aufgeklärt werden. Liegt lediglich eine Gingivitis vor, sollte die Schwangere innerhalb des ersten Schwangerschaftsdrittels durch eine professionelle Zahnreinigung (professionelle mechanische Plaquereduktion, PMPR) und Mundhygieneunterweisung unterstützt werden, die supragingivale Plaquekontrolle möglichst gründlich und effizient durchzuführen. Dabei spielt die mechanische Plaqueentfernung mittels (elektrischer) Zahnbürste und Interdentalbürstchen eine entscheidende Rolle (siehe auch aktuelle S3-Leitlinie der DGParo: Häusliches mechanisches Biofilmmanagement in
ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de 33_FORTBILDUNG 4 1. Trimenon (9.-12. SSW) Gingivitis Diagnostik /PSI Mundhygieneinstruktion, PMPR Parodontitis Kontrolle des supragingivalen Biofilms und der Risikofaktoren (1.Therapiestufe) 2. Trimenon (13.-25. SSW) Mundhygieneinstruktion PMPR stark einschränkendes pyogenes Granulom Chirurgische Therapie Anti-infektiöse Therapie (2. Therapiestufe) SCHMERZ THERAPIE Therapie akuter Zustände 3. Trimenon (26.-36. SSW) nach der Geburt ggf. Kontrolle/ Befundevaluation Falls notwendig: chirurgische Parodontitistherapie (3. Therapiestufe) weitere zahnärztliche Behandlung Kontrolle/ Unterstützende Parodontitistherapie, (4. Therapiestufe) Abbildung: Dr. Kruse Parodontale Behandlung während der Schwangerschaft (nach Kruse et al. 2022) 41 . der Prävention und Therapie der Gingivitis 40 ). Falls die Patientin mehr Unterstützung benötigt oder eine besonders starke Ausprägung der Gingivitis vorliegt, können je nach individueller Umsetzung der häuslichen Mundhygiene auch weitere Termine zur Zahnreinigung und Kontrolle sinnvoll erscheinen. Hier wäre ggf. auch der Einsatz einer alkoholfreien medizinischen Mundspüllösung (z. B. Chlorhexidindigluconat 0,1- bis 0,2-prozentig) zu erwägen 42 . Sollte der PSI-Code Hinweise auf das Vorliegen einer Parodontitis geben, so ist die Durchführung einer systematischen Parodontitistherapie auch während der Schwangerschaft angezeigt. Dabei sollte die antiinfektiöse Therapie (2. Therapiestufe) nach Möglichkeit während des zweiten Schwangerschaftsdrittels erfolgen (siehe Abbildung 4 Parodontale Behandlung während der Schwangerschaft). Therapiestufe 1 (Kontrolle des supragingivalen Biofilms) kann jedoch bereits zu Beginn der Schwangerschaft im ersten Drittel durchgeführt werden. Chirurgische Eingriffe sind bis auf wenige Ausnahmen, beispielsweise zur Entfernung einer stark störenden Epulis gravidarum, besser auf die Zeit nach der Geburt zu verschieben. Patientinnen sollten nach erfolgreicher antiinfektiöser Therapie in eine konsequente unterstützende Parodontitistherapie eingebunden werden, um das Risiko weiterer Attachmentverluste auch für zukünftige Schwangerschaften zu senken. verlauf vorzubeugen. Darüber hinaus gilt es, die Patientinnen bei der Reduktion lebensstilbedingter Risikofaktoren zu unterstützen. Auch nach der Geburt ist es wichtig, die Patientinnen in eine regelmäßige Nachsorge einzubinden. Dr. Anne B. Kruse, Prof. Dr. Petra Ratka-Krüger, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Freiburg Das Literaturverzeichnis kann beim IZZ bestellt werden unter Tel: 0711/222966-14 oder E-Mail: info@zahnarzteblatt.de. www.zahnaerzteblatt.de 0711 222966-14 info@zahnaerzteblatt.de FAZIT Die besondere Zeit der Schwangerschaft sollte durch das zahnärztliche Team begleitet werden. Neben der Unterstützung bei der mechanischen Plaquekontrolle spielt die frühzeitige Diagnostik auf das Vorliegen einer Parodontalerkrankung eine wichtige Rolle, um der Progression und den damit verbundenen negativen Auswirkungen auf die Gesundheit der Schwangeren und möglicherweise den Schwangerschafts- Dr. Anne Kruse Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Freiburg Prof. Dr. Petra Ratka-Krüger Leiterin der Sektion Parodontologie, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Freiburg
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