30_FORTBILDUNG ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de Der Zustand des Parodonts hängt viel stärker von der Allgemeingesundheit ab, als es über viele Jahrzehnte angenommen wurde. In der Schwangerschaft zeigt sich das Parodont besonders empfänglich für gingivale Entzündung und Progression bestehender Parodontitis. Darum ist es umso wichtiger, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte ihre Patientinnen gut durch die Zeit der Schwangerschaft begleiten. Die häufigsten Erkrankungen am Parodont und passende Therapieoptionen sowie der Einfluss auf den Schwangerschaftsverlauf sollen im Folgenden erläutert werden. Foto: AdobeStock/cherryandbees Risiken rechtzeitig erkennen ZAHNFLEISCHERKRANKUNGEN BEI SCHWANGEREN PARODONTALE VERÄNDERUNGEN Während der Schwangerschaft kommt es zu deutlichen hormonellen Veränderungen, die vor allem dem Wachstum des ungeborenen Kindes und der Plazenta sowie der Aufrechterhaltung der Schwangerschaft dienen 1 . Der kontinuierliche Anstieg des Östrogen- und Progesteronspiegels zeigt sich dabei auch an der Gingiva, wo es zu einer erhöhten Entzündungsneigung kommt. Ursächlich dafür sind hormonsensitive Rezeptoren der Gingiva 2 . Über diese kommt es während der Schwangerschaft zu einer erhöhten Fibroblastenproliferation 3 , die folglich zu einer Größenzunahme des Gewebes führen kann und sich klinisch als Pseudotaschen darstellt. Das kann die Reinigung des Gingivarandes erschweren und die Entstehung einer Gingivitis begünstigen. Gleichzeitig führt der hormonelle Einfluss zu einer erhöhten Gefäßpermeabilität und –proliferation 4, 5 und verstärkt zusätzlich das Auftreten von Blutungen. Dadurch sind viele Patientinnen verunsichert und reinigen diese Bereiche womöglich weniger gründlich. Diese hormonell bedingte gingivale Entzündung wird auch als sogenannte Schwangerschaftsgingivitis bezeichnet und kann nach aktuellen Angaben bei 38 bis 93,75 Prozent aller Schwangeren vorgefunden werden 6–8 (siehe Abb.1). Anders als bei Nicht-Schwangeren scheint hier bereits eine geringe Menge an Plaque eine gingivale Entzündung auslösen zu können. Diese Entwicklung stellt sich meist entsprechend dem Anstieg des Hormonspiegels bis zum späten zweiten oder dritten Schwangerschaftsdrittel zunehmend dar 9, 10 . Darum erscheint eine besonders gründliche Mundhygiene, vor allem der Interdentalräume, ab dem Beginn der Schwangerschaft wichtig zu sein. Im Zuge des Hormonabfalls kommt es in aller Regel nach der Geburt zu einer vollständigen Remission dieser Veränderungen 11, 12 . Daher wird die Schwangerschaftsgingivitis als selbstlimitierend eingeordnet. SCHWANGERSCHAFTSTUMOR Ein weiteres Phänomen ist das Auftreten eines sogenannten Schwangerschaftstumors (auch: Epulis gravidarum oder pyogenes Granulom, siehe Abb. 2) 13 . Während die Ätiologie dieser gutartigen Gingivavergrößerung nicht eindeutig geklärt ist, ist auch hier mit einer Zunahme bis zum zweiten oder dritten Schwangerschaftsdrittel zu rechnen, wie auch mit einer vollständigen Remission nach Geburt 14 . Eine chirurgische Exzision ist nur angezeigt, falls das Granulom stark
ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de 31_FORTBILDUNG 1 2 Foto: Dr. Kruse Foto: Dr. Kruse Schwangerschaftsgingivitis. Bei vielen Schwangeren zeigt sich die Entstehung einer Gingivitis. Epulis gravidarum. Diese gutartige Schleimhautwucherung bei Schwangeren ist in der Regel nicht behandlungsbedürftig und bildet sich vollständig nach Geburt zurück. stören sollte, wenn es beispielsweise die Kaufläche bedeckt und es daher häufig zu Blutungen kommt. Während die hormonell bedingten Veränderungen der Gingiva sich als selbstlimitierend darstellen und in aller Regel nicht mit einem Attachmentverlust einhergehen, ist bei einer unbehandelten Parodontitis häufig eine Progression oder selten auch Exazerbation der Erkrankung während der Schwangerschaft zu beobachten (siehe Abbildung 3) 15 . Als Erklärung werden hier Veränderungen der Immunantwort auf Ebene der Th1/Th2-Lymphozyten, regulatorischen B- Zellen und neutrophilen Granulozyten herangezogen, die das Fortschreiten des Attachmentverlusts begünstigen können 1, 16 . VERÄNDERTER SUBGINGIVALER BIOFILM Zudem kommt es bei Schwangeren zu einer Veränderung der Zusammensetzung des subgingivalen Biofilms. In Untersuchungen subgingivaler Proben fand man unter anderem eine Zunahme bekannter Parodontalpathogene wie Prevotella intermedia, Porphyromonas gingivalis 5, 6, 16, 17 , Tannerella forsythia und Aggregatibacter actinomycetemcomitans 7, 17, 18 . Für Porphyromonas gingivalis konnte zudem gezeigt werden, dass dessen Vorhandensein das Risiko für einen Attachmentverlust um das 14-Fache erhöht 8 . Insgesamt scheint sich das orale Mikrobiom auch bei parodontal Gesunden während der Schwangerschaft hin zu parodontitis-assoziierten Keimen zu verändern. Nach der Geburt wird jedoch wieder die Rückkehr zu gesundheits-assoziierten Keimen beobachtet 19 . Gründe dafür sind ebenfalls die veränderte Immunabwehr sowie Fähigkeiten einzelner Spezies, von der hormonellen Situation in ihrem Wachstum zu profitieren 16 . FRÜHGEBURTLICHKEIT UND INFERTILITÄT 1996 wurde erstmalig über eine mögliche Assoziation der Parodontitis mit Frühgeburtlichkeit berichtet 20 . Seitdem konnten die Mehrzahl klinischer Studien den Verdacht bestätigen, dass das Risiko für eine Frühgeburt, Präeklampsie (ugs. Schwangerschaftsvergiftung) oder ein niedriges Geburtsgewicht durch das Vorliegen einer Parodontitis erhöht ist 21 . Der mögliche Pathomechanismus wird hier in einer Infektion der feto-plazentären Einheit durch orale Pathogene vermutet. Vor allem Fusobacterium nucleatum konnte in unterschiedlichsten Untersuchungen mit Totgeburten und anderen Komplikationen in Verbindung gebracht werden 22, 23 . Zudem gibt es Hinweise darauf, dass es während der Schwangerschaft insbesondere bei Parodontitispatientinnen zu einer frühzeitigen Besiedelung der Plazenta mit oralen Keimen kommen könnte 24 . Da Schwangerschaftskomplikationen jedoch hochkomplexe Entwicklungen darstellen, muss davon ausgegangen werden, dass deren Entstehung häufig multifaktoriell bedingt ist und die Parodontitis nicht der alleinige Auslöser ist. Weiterhin wird auch die Möglichkeit diskutiert, dass ein erhöhtes Level an Entzündungsbotenstoffen indirekt zur Auslösung einer Frühgeburt oder anderen Komplikationen beitragen könnte 25 . Indem die Parodontitis die allgemeine Entzündungslast erhöht, könnte sie dabei eine Rolle spielen. Die Antwort auf die Frage, ob eine Parodontitisbehandlung während der Schwangerschaft eine Frühgeburt verhindern kann, bleibt bisher uneindeutig. Die Mehrzahl der durchgeführten Studien weist jedoch darauf hin, dass lediglich Schwangere mit bereits deutlich erhöhtem Risiko für eine Frühgeburt von einer Parodontitistherapie profitieren 9, 26 . Ausgehend von der Annahme, dass die Plazenta bereits frühzeitig von Parodontalpathogenen besiedelt sein könnte, erscheint eine subgingivale antiinfektiöse Therapie im Verlauf der Schwangerschaft womöglich schlicht zu spät, um eine infektionsbedingte Komplikation zu verhindern 9 . Zusammenfassend lässt sich somit feststellen, dass eine mögliche Parodontitis bereits im Vorfeld einer Schwangerschaft behandelt werden sollte. Der Einfluss der Parodontitis auf die Fertilität von Frauen und Männern wurde gegenüber der Frühgeburtlichkeit bisher deutlich weniger untersucht. Dabei spricht man von Infertilität, wenn es über 12 Monate hinweg für ein Paar nicht möglich ist, zu einer klinischen Schwangerschaft zu kommen. Da in westlichen Ländern 14,3 Prozent aller Paare betroffen sind, stellt dies ein nicht unerhebliches Problem dar 27 . Bei Frauen
Laden...
Laden...
Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)
Haus: Heßbrühlstraße 7, 70565 Stuttgart
Post: Postfach 10 24 33, 70200 Stuttgart
Telefon: 0711 222 966 0
Fax: 0711 222 966 20
presse@izzbw.de
Eine Einrichtung der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung Baden-Württemberg
& der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz