12_TITELTHEMA ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de EU-Medizinprodukteverordnung (EU-MDR) EU-KOMMISSION SCHLÄGT FRISTENVERLÄNGERUNG VOR Seit 2021 gilt der neue EU-Rechtsrahmen für Medizinprodukte. Nach den neuen Vorgaben sollten zunächst bis spätestens Mai 2024 alle auf dem Markt befindlichen Medizinprodukte rezertifiziert werden. Auf Drängen aus dem Europäischen Parlament und von Seiten mehrerer EU-Mitgliedstaaten, einschließlich Deutschland, wurden jetzt bei der turnusgemäß stattfindenden Sitzung des Gesundheitsrats (EPSCO) am 9. Dezember 2022 in Brüssel auch die Probleme bei der Implementierung der neuen EU-MDR diskutiert. In der Sitzung hat EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides eine Verschiebung der EU-MDR in Aussicht gestellt und einen entsprechenden Legislativvorschlag für Januar 2023 angekündigt, der nun von der Kommission vorgelegt wurde. LEGISLATIVVORSCHLAG In der EPSCO-Sitzung am 9. Dezember 2022 hat EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides eine Verschiebung der EU-Medizinprodukteverordnung in Aussicht gestellt und einen entsprechenden Legislativvorschlag für Januar 2023 angekündigt. Die Gesundheitskommissarin gestand ein, dass der Übergang zu den neuen MDR-Vorschriften viel langsamer verlief als erwartet. Als Gründe verwies sie auf die COVID-19-Pandemie, die durch die russische Invasion in der Ukraine verursachte Rohstoffknappheit und die geringen Kapazitäten der Benannten Stellen. Bereits im Oktober 2022 hatten namhafte Gesundheits- und Industriepolitiker der CDU/CSU aus dem Europäischen Parlament und dem Deutschen Bundestag ein Schreiben an Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach gerichtet. Die Politiker kritisierten insbesondere die unzureichende Infrastruktur von und für Benannte Stellen, lange Wartezeiten und unklare, intransparente Antragsverfahren, die zu einer enormen Belastung für viele Herstellerfirmen führten und vor allem dazu, dass Produkte in zunehmende Maße nicht mehr zur Verfügung stehen. Problematisch seien auch die Notwendigkeit der Rezertifizierung und das Erfordernis zur Durchführung klinischer Prüfung, auch für langjährig bewährte Bestandsprodukte bei gleichzeitigen Kapazitätsengpässen. Dies ist besonders kritisch für sogenannte Nischenprodukte. Foto: AdobeStock_hkama ÜBERGANGSFRISTEN Bereits im Vorfeld des EPSCO-Rates hatte die EU-Kommission am 6. Dezember 2022 ein umfangreiches Informationspapier veröffentlicht, in dem die Kommission erstmals die massiven Probleme bei der Rezertifizierung von Bestandsprodukten sowie die Schwierigkeiten mit den Benannten Stellen eingesteht. Als mögliche Lösungsvorschläge für bewährte Bestandsprodukte bringt die EU-Kommission dabei eine Verlängerung der Übergangsfrist in Artikel 120 Absatz 3 der MDR mit gestaffelten Fristen je nach Risikoklasse des Produkts ins Gespräch. BZÄK-EUROPAFORUM „Die angekündigte Fristenverlängerung ist sehr erfreulich“, sagt LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert, „offensichtlich hat der wachsende politische Druck aus den EU-Mitgliedstaaten und dem EU- Parlament die EU-Kommission zum Einlenken bewogen.“ Dr. Tomppert hatte die Kritik des Berufsstandes an der Umsetzung der EU- MDR zuletzt im Rahmen des BZÄK-Europaforums am 25. Oktober 2022 in Brüssel gegenüber dem südbadischen Europaabgeordneten der EVP-Fraktion, Dr. Andreas Schwab, adressiert. Bei Dr. Schwab sind die Kritikpunkte an der richtigen Adresse. Der Europaabgeordnete hat seinen Wahlkreis in Tuttlingen. Bekanntermaßen ist Baden-Württemberg mit rund 400 Unternehmen ein be-
ZBW_2-3/2023 www.zahnaerzteblatt.de 13_TITELTHEMA deutender Standort für Medizintechnik und Tuttlingen zählt zu seinem Zentrum. Aus diesem Grund haben auch die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Dr. Nicole Hoffmeister-Kraut und der baden-württembergische Gesundheitsminister Manne Lucha wiederholt Erleichterungen bei der europäischen Medizinprodukteverordnung gefordert. BZÄK-Europaforum. Dr. Torsten Tomppert (l.) adressierte die Kritik des Berufsstandes an der Umsetzung der EU-MDR gegenüber dem südbadischen Europaabgeordneten der EVP-Fraktion, Dr. Andreas Schwab, beim Europaforum der BZÄK. Dr. Alfred Büttner Leiter Abteilung Europa der BZÄK AKTUELLE SITUATION Am 6. Januar 2023 hat die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine erneute Verschiebung von Teilen der EU- MDR vorgelegt. Damit folgt die Kommission der Ankündigung von EU-Gesundheitskommissarin Stella Kyriakides. Die EU-Kommission schlägt konkret vor, dass für Medizinprodukte, für die vor dem 26. Mai 2021 eine Konformitätserklärung ausgestellt wurde, der Zeitraum für die Umstellung auf die neuen MDR-Vorschriften bei Produkten mit höherem Risiko, d. h. Klasse-III-Produkte und implantierbare Klasse-II-b- Produkte, vom 26. Mai 2024 bis zum 31. Dezember 2027 und bei Produkten mit mittlerem und geringerem Risiko, d. h. Klasse-II-a- und Klasse-I-Produkte, bis zum 31. Dezember 2028 verlängert werden. Darüber hinaus schlägt die EU-Kommission die Einführung einer Übergangsfrist bis zum 26. Mai 2026 für maßgefertigte implantierbare Produkte der Klasse-III vor, z. B. für patientenspezifische Implantate zur Knochenrekonstruktion. Diese Produkte fallen derzeit nicht unter die Übergangsbestimmungen der MDR. Die Hersteller von implantierbaren Sonderanfertigungen der Klasse III müssen zwar seit dem 26. Mai 2021 alle Anforderungen der Verordnung erfüllen, erhalten aber nun mehr Zeit, um ihr Qualitätsmanagementsystem von einer Benannten Stelle zertifizieren zu lassen. Schließlich soll das in der MDR festgelegte Verkaufsdatum gestrichen werden. Durch die Abschaffung dieses Stichtags soll sichergestellt werden, dass bewährte Medizinprodukte, die bereits auf dem Markt sind, den Gesundheitssystemen und den bedürftigen Patienten und Patientinnen weiterhin zur Verfügung stehen. Aus (zahn-)ärztlicher Sicht ist erfreulich, dass die EU-Kommission nach langem Zögern die Bedenken der (Zahn-)Ärzteschaft, insbesondere von Council of European Dentists (CED) und BZÄK, sowie der Hersteller ernst genommen hat und mit der Verschiebung die Reißleine gezogen hat. Gleichwohl macht die EU- Kommission mit dem Vorschlag deutlich, dass sie nur den Zeitpunkt der Umsetzung verschieben, aber nicht am Inhalt der MDR rütteln möchte. Bei den anstehenden Verhandlungen dürfte es kaum Spielraum für weitergehende Korrekturen an der MDR geben. Foto: privat Dr. Alfred Büttner/BZÄK Redaktionelle Bearbeitung Andrea Mader INFO BEWERTUNG Die beschriebenen Probleme mit der Umsetzung der EU-MDR hatten sich bereits kurz nach deren Inkrafttreten angedeutet. Bis heute konnten erst ca. 15 Prozent, teilweise langjährig im Markt befindlicher, Medizinprodukte, in das neue System überführt werden. Und wenn man bedenkt, dass Zertifizierungsprozesse rund 18 Monate in Anspruch nehmen können, stellt die Fristverlängerung eine ganz wichtige Maßnahme dar, um kurzfristig Versorgungsengpässe im gesamten medizinischen Bereich zu vermeiden. Die Staffelung nach Risikoklassen ist ein sinnvoller Ansatz, um Bestandsprodukte mit einem geringen Gefährdungspotenzial unbürokratisch länger im Markt zu halten. Jüngst forderte der Council of European Dentitsts (CED), die Vertretung der europäischen Zahnärzteschaft in der EU, für Rezertifizierungen von Bestandsprodukten pragmatische Anforderungen an zu erhebende Studien, klinische Daten und Dokumentationsaufwand zu stellen. Hier ist dringend Augenmaß gefordert, denn es ist doch sehr zu bezweifeln, dass sichere bewährte Produkte durch hohe bürokratische Belastungen und hohe Zertifizierungskosten noch sicherer gemacht werden können. Vielmehr droht, dass dadurch Medizinprodukte kleinerer Unternehmen oder geringer Stückzahl vom Markt verschwinden werden – mit negativen Auswirkungen auf Praxen und die Patientenversorgung. Dr. Norbert Struß, LZK-Referent für Praxisführung
Laden...
Laden...
Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)
Haus: Heßbrühlstraße 7, 70565 Stuttgart
Post: Postfach 10 24 33, 70200 Stuttgart
Telefon: 0711 222 966 0
Fax: 0711 222 966 20
presse@izzbw.de
Eine Einrichtung der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung Baden-Württemberg
& der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz