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65 Jahre Landeszahnärztekammer

Ausgabe 4/2020

32 Fortbildung Abb. 2

32 Fortbildung Abb. 2 Motivation und Instruktion (Abb. 2). Jahren 14 . Kressin et al. beobachteten in einer 26-jährigen Longitudinalstudie ein um 49 Prozent reduziertes Risiko des Zahnverlusts bei Patienten, die angaben, regelmäßig Zähne zu putzen, im Vergleich zu Patienten, die dies nicht taten 15 . Dennoch ist eine Aussage über einen Langzeitnutzen der Prophylaxe kaum möglich. Auch wenn die genannten Langzeitstudien suggerieren, dass eine gute Mundhygiene mit stabilen oralen Verhältnissen korreliert, so fehlt der Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne prophylaktische Maßnahmen, um die Bedeutung von häuslicher wie professioneller Mundhygiene genau evaluieren zu können. Langzeitdaten mit einer vergleichenden Kontrollgruppe ohne prophylaktische Maßnahmen sind kaum vorhanden und der Umfang dieser Maßnahmen ist sehr unterschiedlich 2 . Um den Effekt unterschiedlicher prophylaktischer Maßnahmen besser beurteilen zu können, beobachteten Hugoson et al. in einer randomisierten kontrollierten Studie 400 Patienten im Alter von 20 bis 27 Jahren mit Gingivitis bzw. behandelter Parodontitis über drei Jahre 6 . Die Patienten wurden in vier Gruppen zu je 100 Personen aufgeteilt, wobei eine Gruppe als Kontrollgruppe ohne prophylaktische Maßnahmen und drei Gruppen als Testgruppen dienten. Vier verschiedene Prophylaxeprogramme bei den Testgruppen mit entweder reiner Instruktion oder zusätzlicher Professioneller Zahnreinigung in kurzen (2-monatigen) Abständen, individuelle Instruktion oder Gruppenprophylaxe in höheren Intervallen wurden anhand von parodontalen Surrogat parametern wie Plaque und Zahnfleischblutung/Entzündung untereinander und mit der Kontrollgruppe verglichen. Alle Testgruppen in dieser Studie zeigten über drei Jahre bessere Ergebnisse bezüglich der Plaque- und Gingivitisparameter als die Kontrollgruppe. Am besten schnitt die Gruppe ab, die individuelle Instruktionen alle zwei Monate erhielt – eine ergänzend ausgeführte Professionelle Zahnreinigung brachte keinen klinischen Benefit gegenüber der reinen Instruktion. Um tatsächlich eine parodontal präventive Wirkung entsprechend dem durch Parodontitis bedingten Attach- ment- bzw. Zahnverlust be obachten zu können, wäre bei den gegebenen jungen Probanden ein noch längerer Beobachtungszeitraum wünschenswert, was aus ethischen und organisatorischen Gründen jedoch schwierig ist. Außerdem besteht das Problem, dass durch die alleinige Teilnahme an einer Untersuchung das Verhalten der Probanden beeinflusst wird (Hawthorne-Effekt). Es ist zu erwarten, dass die Anstrengungen und Compliance verstärkt werden und damit das Ergebnis gegenüber einer unbeobachteten Gruppe verbessert wird. Dazu kommt, dass die erzielbaren und messbaren Unterschiede jedoch umso kleiner werden, je besser sich die Ausgangssituation darstellt. Daraus folgt, dass es mit dem o. g. Studiendesign von Hugoson et al. ausgesprochen schwierig ist, überhaupt einen Unter schied zwischen den verschiedenen Prophylaxeprogrammen zu zeigen. Anders formuliert lässt das Fehlen eines signifikanten Unterschieds in der genannten Studie daher nicht den Schluss zu, dass intensivere Prophylaxemaßnahmen nicht doch einen positiven Effekt haben – auch mit Blick auf andere Patientenkollektive wie ältere Patienten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Studien zum Thema Professionelle Zahnreinigung im Wesentlichen dann einen Nutzen zeigen, wenn bereits klinische Erkrankungszeichen vorhanden sind, während ein Nutzen beim klinisch parodontal Gesunden (aufgrund des Fehlens anderer valider Möglichkeiten präklinischer Befunderhebung/Früh diagnostik) nur schwer abgeleitet werden kann 16 . Somit bleibt – bei parodontal gesunden Patienten – fraglich, welchen Nutzen die Professionelle Zahnreinigung hat und welchen die Mundhygieneinstruktion oder ob eine Kombination erforderlich ist 6,17 . In einer aktuellen Übersichtsarbeit von Needleman et al. zeigt sich jedoch, dass eine reine PZR ohne MHI nur geringen Nutzen in Bezug auf die gin givale Gesundheit hat und dass kürzere Recall intervalle gegebenenfalls weniger jährlichen Attach mentverlust bedeuten 18 . Werden also ausschließlich Patienten ohne Parodontitis beobachtet, ist der langfristige Nutzen der ZBW 4/2020 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 33 Abb. 3a Anfärben mit Plaquerevelator (vorher und nachher) (Abb. 3 a und b). Abb. 3b PZR zur Parodontitisprophylaxe nicht ganz eindeutig bzw. übertrifft den Nutzen von reinen MHI gegebenenfalls nicht 18 . Nachgewiesen ist jedoch der positive Effekt regelmäßiger professioneller Prophylaxemaßnahmen bei Patienten mit Parodontitis im Sinne einer UPT 8,19,20 . Dies trifft für einen großen Anteil der Bevölkerung zu, da nach der DMS V 50 Prozent der Erwachsenen an einer Parodontitis erkrankt sind, in der Altersgruppe der jüngeren Senioren (65- bis 74-jährige) – wie bereits oben erwähnt – sogar 65 Prozent 1 . Auch der Nutzen einer präventiven PZR (in Verbindung mit MHI!) scheint plausibel. Die Patienten werden regelmäßig betreut, unterwiesen und weisen weniger Plaque auf. Der Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein von supragingivaler Plaque und der Entstehung einer Gingivitis ist schon lange belegt 21 . Ebenso ist belegt, dass die Gingivitis ein Vorläufer der Parodontitis ist 22 . Außerdem konnte in einer Langzeituntersuchung über 26 Jahre nachgewiesen werden, dass die Überlebenswahrscheinlichkeit eines Zahns sinkt, je höher der Gingivaindex ist 23 . Insofern besteht neben der direkten (UPT) auch eine indirekte Evidenz für die PZR. Ein wissenschaftlich fundierter PZR-Ablauf muss aufgrund dieser Überlegungen auf jeden Fall eine ausführliche MHI beinhalten sowie pa tientengerecht und risiko orientiert individualisiert werden. Im Folgenden wird der PZR-Workflow des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums (ZFZ) Stuttgart dargestellt. Praktische Durchführung. Die häufigsten Erkrankungen in der Mundhöhle – Karies, Gingivitis und Parodontitis – sind biofilm induziert. Im Zentrum der professionellen Betreuung steht daher die Beseitigung des bakteriellen Biofilms und harter Ablagerungen. Die Leistungsbeschreibung GOZ-Nr. 1040 „Professionelle Zahnreinigung“ der aktuell gültigen Gebührenordnung der Zahnärzte (GOZ) lautet: Die Leistung umfasst „das Entfernen der supragingivalen/gingivalen Beläge auf Zahn- und Wurzeloberflächen einschließlich Reinigung der Zahnzwischenräume, das Entfernen des Biofilms, die Oberflächenpolitur und geeignete Fluoridierungsmaßnahmen, je Zahn oder Implantat oder Brückenglied“. Obwohl die Leistungsbeschreibung der PZR dies nicht beinhaltet, hat sich im Praxisalltag eine erweiterte Vorgehensweise bewährt: Als obligatorisch für eine individualisierte nachhaltige Biofilmkontrolle sehen wir in Übereinstimmung mit der oben beschriebenen Literatur die Notwendigkeit einer regelmäßigen zahnärztlichen Befundung, die Ermittlung der patientenspezifischen Risikofaktoren sowie eine kontinuierliche Motivation und Instruktion. Es ist Aufgabe des gesamten zahnärztlichen Teams, dem Patienten verständlich zu machen, dass eine lebenslange Betreuung zum Erhalt der parodontalen Gesundheit erforderlich ist. Der Ablauf einer professionellen Prophylaxeeinheit („Prophylaxestunde“) in unserer Praxis lässt sich in folgende Abschnitte gliedern: 1. Anamnese, zahnmedizinische Untersuchung, Erstellung von Indizes, 2. Motivation und Instruktion, 3. Entfernung harter und weicher Ablagerungen (supragingival/gingival), 4. Kontrolle und Fluoridierung, 5. Terminvergabe. Die Abbildungen 1 a bis c zeigen die in der Regel hierfür benötigte Grundausstattung. Anamnese. Zunächst sollte der Patient grundsätzlich zu bestehenden Beschwerden oder allgemeinmedizinischen Veränderungen befragt werden. Nachfolgend wird der aktuelle Mundhygienezustand und der Entzündungsgrad mithilfe von entsprechenden Indizes ermittelt. Hier haben sich der modifizierte Sulkus-Blutungs-Index 24 und der Approximalraum- Plaque-Index 25 bewährt. Bei Patienten, bei denen bisher keine Parodontitis diagnostiziert wurde, ist ein regelmäßiges Screening mithilfe des Parodontalen Screening-Index (PSI) unumgänglich, um frühzeitig ein gingivales oder parodontales Problem zu erkennen. Anhand der erhobenen Befunde wird der Pa tient im nächsten Schritt remotiviert und re instruiert www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2020

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