30 Fortbildung Parodontale Primärprävention Hat regelmäßige Prophylaxe Einfluss auf die Entstehung von Parodontitis? Die Erkrankungslast von Parodontalerkrankungen in Deutschland ist nach wie vor hoch. Bezüglich der Prophylaxe von parodontalen Erkrankungen ist weiterhin fraglich und auch Gegenstand öffentlicher Diskussionen, welchen Stellenwert eine verbesserte häusliche Mundhygiene und welchen die Professionelle Zahnreinigung hat oder ob die Kombination von beiden sinnvoll und erforderlich ist. Neben der Diskussion dieser Fragestellung soll im folgenden Artikel auch ein möglicher Ablauf der Professionellen Zahnreinigung in Verbindung mit der individuellen Instruktion des Patienten im Sinne einer parodontalen Primärprävention dargestellt werden. Dazu findet die nötige Abgrenzung zur unterstützenden Parodontitistherapie statt. Die Zahl der Menschen mit Parodontalerkran kungen nimmt in Deutschland ab – dies ist ein erfreuliches Ergebnis der Fünften Deutschen Mundgesundheitsstudie (DMS V), die im Jahr 2016 veröffentlicht wurde 1 . Dennoch bleibt die Er krankungslast von Parodontalerkrankungen in der Bevölkerung hoch. So leiden in der Altersgruppe der jüngeren Senioren (65- bis 74-jährige) zwei Drittel der Personen (65 Prozent) an einer parodontalen Erkrankung. Parodontitis ist altersassoziiert. Aufgrund der demografischen Entwicklung und der Verlagerung chronischer Munderkrankungen in ein höheres Lebensalter ist zukünftig ein steigender Behandlungsbedarf zu erwarten 1 . Parodontitis ist biofilminduziert. Solange Bakterien und Zähne in der Mundhöhle vorhanden sind, entwickeln sich Biofilme – folglich besteht ein lebenslanges Risiko für die Entwicklung einer Parodontitis. Es erscheint plausibel, dass dieses Risi ko minimiert wird, wenn die Biofilme entfernt werden, bevor sie pathogen werden, und dass dies lebenslang erfolgen muss. Insbesondere Qualität und Präzision der mechanischen Kontrolle des oralen Biofilms scheinen bei der Prävention von Entzündungen des Zahnhalteapparats entscheidend zu sein 2 . Dies hängt von den ma nuellen Fertigkeiten, der Motivation und dem Bewusstsein für die Mundgesundheit der individuellen Person ab. Mit häuslichen Maßnahmen allein ist eine vollständige Belagsentfernung nur den wenigsten Personen möglich 3 . Das Risiko für die Entwicklung biofilminduzierter Erkrankungen bleibt bestehen – aus diesem Grund scheint professionelle Unterstützung erforderlich. Das legen auch die Ergebnisse der DMS V nahe: Präventive Maßnahmen wirken sich positiv auf parodontale Erkrankungen aus. Demnach sind „Menschen, die regelmäßig Präventionsangebote in der Zahnarztpraxis in Anspruch nehmen, seltener von Paro dontitis betroffen. Bei diesen Patienten sind die Paro dontalerkrankungen zugleich auch weniger schwer.“ 1 Ebenso wird auf die nötige Sorgfalt bei der häuslichen Biofilmkontrolle hingewiesen; so kommt insbesondere der Reinigung der Zahn zwischenräume eine positive präventive Bedeutung zu. Folglich erscheint es konsequent und ziel führend, dass nahezu alle Zahnarztpraxen eine Professionelle Zahnreinigung (PZR) als präventive zahnärztliche Leistung anbieten. Die PZR ist jedoch seit Jahren Gegenstand kontroverser Diskussionen und gehört aufgrund ihrer (vermeintlich) fehlenden Evidenz nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen 4 . Wie ist dieser Widerspruch zu begründen? Inwieweit lassen sich parodontale Erkrankungen tatsächlich durch Prophylaxe in Form von häuslicher Mundhygiene und Professioneller Zahnreinigung vorbeugen? Begriffsklärung. Zunächst erscheint es sinnvoll, die Begriffe Mundhygieneinstruktion (MHI), Professionelle Zahnreinigung (PZR) und unterstützende Parodontitistherapie (UPT) klar zu definieren. In der öffentlichen Diskussion werden diese häufig nicht sauber voneinander abgegrenzt und PZR wie ein Überbegriff verwendet. Dabei umfasst die PZR laut Leistungsbeschreibung in der GOZ grundsätzlich (nur) das Entfernen der supragingivalen/gingi valen Beläge auf Zahn- und Wurzeloberflächen, das Reinigen der Zahnzwischenräume, das Ent fernen des Biofilms, die Oberflächenpolitur sowie die Fluoridierung – nicht aber eine MHI. Die MHI beinhaltet die Aufklärung des Patienten über die Zusammenhänge von bakteriellen Zahnbelägen mit Karies und Parodontitis, das Anfär ben der Plaque, die Erhebung von Indizes zur Quantifizierung der Plaquemenge und des Ausmaßes der Gingivitis sowie die Erläuterung von Schwachstellen der häuslichen Mundhygiene und Demonstration von individuell geeigneten Mundhygienemaßnahmen und -hilfsmitteln für zu Hause. Daraus folgt, dass eine MHI grundsätzlich für jeden Patienten – unabhängig von dessen Mundgesundheitszustand – empfehlenswert ist und die individuelle Mundhygiene effektiv und nachhaltig verbessert werden kann. Eine einmalige MHI führt nur im absolu- ZBW 4/2020 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 31 ten Ausnahmefall zu lebenslang effek tiver häuslicher Mundhygiene 5 . Die MHI sollte je nach individuellem Putzerfolg und Risiko mehrfach pro Jahr professionell erfolgen. Bei der PZR muss bereits differenziert werden. Bei der (relativ kleinen) Zielgruppe der parodontal gesunden jungen Erwachsenen ist die PZR offensichtlich verzichtbar, da eine Zahnreinigung zusätzlich zur MHI keinen zusätzlichen medizinischen Nutzen bewirkt 6 . Nicht verzichtbar ist die PZR allerdings bei Patienten mit erhöhtem Karies- und/oder Parodontitisrisiko, bei Schwächen im individuellen häuslichen Biofilmmanagement trotz MHI und zur Entfernung kosmetisch störender Zahnbeläge (z. B. durch Kaffee, Tee, Rauchen). Bei Patienten, die bereits an Parodontitis erkrankt sind, sind weiterführende Maßnahmen zu ergreifen. Hier reichen PZR und MHI allein nicht aus. Diese Patienten müssen zunächst syste matisch parodontal therapiert und anschließend mittels UPT kontinuierlich und in der Regel lebenslang nachbetreut werden 7–9 . Schon die Begrifflichkeit macht deutlich, dass die UPT Teil der Therapie und nicht allein Prophylaxe ist. UPT und PZR sind somit klar voneinander abzugrenzen. Je nach individuellem Patientenrisiko sollte die UPT ein- bis viermal jährlich erfolgen. Sie beinhaltet die MHI und Motivation des Patienten, die professionelle mechanische Belagsentfernung, die Erhebung des aktuellen Entzündungs- und Mundhygienezustands, die Erhebung eines parodontalen Befunds (in Abhängigkeit von der Häufigkeit der UPT-Sitzungen: Erfassung der Sondierungsstiefen [ST] mit Bleeding on Probing [BOP] je Sitzung; ein- bis zweimal pro Jahr: Erfassung und Dokumentation eines kompletten Par odontalstatus, je inkl. Vergleich zu Vorbe funden) und, falls notwendig, die subgingivale Reinigung (wieder-)erkrankter und vertiefter Zahn fleisch taschen. Die UPT beinhaltet somit nicht nur PZR und MHI, sondern geht weit über sie hinaus. Der Nutzen einer professionellen Unterstützung ist folglich im Einzelfall unterschiedlich! Er hängt zum einen ab von der Quantität und Qualität des individuellen häuslichen Biofilmmanagements, zum anderen von der interindividuell unterschiedlich ausgeprägten Reaktion des Organismus auf den mikrobiellen Angriff und bereits vorhandene Erkrankungen. Entscheidend ist also die individuelle Mundgesundheitssituation der Patienten, die der Zahnarzt richtig einschätzen und entsprechende Präventions- oder Therapieempfehlungen patientengerecht aussprechen sollte 10 . Daraus ergibt sich die unterschiedliche Intensität und Frequenz der professionellen Unterstützung. Abb. 1a Abb. 1b Abb. 1c Grundausstattung (beispielhaft) für eine Professionelle Zahnreinigung (Abb. 1a bis c). Nutzen regelmäßiger Prophylaxe?! Es ist Evidenz vorhanden, dass sich durch gute Mundhygiene und regelmäßige prophylaktische Maßnahmen bei Patienten in Langzeitbetreuung stabile kariologische und parodontologische Verhältnisse erreichen lassen 11,12 . Eine Verbesserung der Mundhygiene in der Bevölkerung scheint Langzeitbeobachtungen von Kohorten zufolge mit einer abnehmenden Prävalenz von Parodontitis zusammenzuhängen 13,14 . Demnach konnte in zwei Langzeitstudien aus Skandinavien über 30 Jahre (1973 bis 2003) eine Reduktion der Plaque- und Gingivitiswerte be obachtet werden – gleichzeitig nahmen die Häufig keit von Parodontitis sowie das Ausmaß des alveolären Knochenverlusts ab. Zudem nahm über diesen Zeitraum gemäß der sogenannten Jönköping- Studie die Anzahl der erhaltenen Molaren in allen Altersgruppen von 20 bis 80 Jahren zu 13 . Eine ähnliche Studie aus Oslo zeigte über den gleichen Zeitraum entsprechende Ergebnisse bei Personen im Alter von 35 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2020
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