22 Berufspolitik Ein Jahr vor der Landtagswahl Vier Jahre grün-schwarze Gesundheitspolitik im Ländle In knapp einem Jahr wird der Landtag von Baden-Württemberg neu gewählt. Der Wahlausgang ist – auch angesichts der instabilen bundespolitischen Verhältnisse – schwer vorherzusehen. Geschichte geschrieben hat die Landesregierung bereits mit der Unterschrift unter den Koalitionsvertrag, denn die Regierung Kretschmann II erfüllt als erstes Bündnis von Bündnis 90/Die Grünen als Senior- und CDU als Juniorpartner eine Pionierrolle in der bundesdeutschen Historie. Ob diese Erweiterung der politischen Farbenlehre auch sachpolitisch Maßstäbe setzen konnte, wird in den Diskussionen bis zur Wahl zu klären sein – das gilt nicht zuletzt für die Gesundheitspolitik. Bilanz. Was haben Bündnis 90/ Die Grünen und CDU sowie das Superministerium für Soziales und Integration unter Minister Manne Lucha, in dem die Gesundheitspolitik nur eine von sechs Abteilungen belegt, in den bisherigen vier Jahren nun tatsächlich auf den Weg gebracht? Befragt man die Website von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg nach deren Regierungsbilanz, so kommt die Gesundheitspolitik nur am Rande vor: etwa mit Investitionen für die Kliniken, dem Stichwort „Telemedizin“ im Rahmen der Digitalisierungsstrategie sowie dem Ziel einer verbesserten Hebammenversorgung. Föderalismus. Wer in diesem Bereich nach umfangreichen Reformen auf dem Weg der Landesgesetzgebung sucht, wird nicht so schnell fündig. Denn es gibt in der Gesundheitspolitik ein deutliches Übergewicht zugunsten des Gesetzgebers auf Bundesebene. Dies gilt gerade auch für die ambulante Versorgung sowie das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Regionale Lösungen sind deshalb schwer durchzusetzen. Die Länderkompetenzen in der Gesundheitspolitik betreffen in erster Linie die Sicherstellung der Krankenhausversorgung sowie den öffentlichen Gesundheitsdienst. Durch diverse Verflechtungen der verschiedenen Ebenen haben die Länder – etwa über den Bundes- Föderales Prinzip. Manne Lucha, Minister für Soziales und Integration, ist in den letzten vier Jahren als vehementer Verfechter des föderalen Prinzips und der Gestaltung der medizinischen Versorgung vor Ort aufgetreten. rat – jedoch Möglichkeiten zur Mitgestaltung, die nicht zu unterschätzen sind und die von der Landesregierung auch wahrgenommen wurden. Lucha ist ein vehementer Verfechter des föderalen Prinzips und der Gestaltung der Versorgung vor Ort. Allerdings drückte Bundesgesundheitsminister Spahn viele seiner Gesetze gerade ohne Möglichkeit der Zustimmung der Länder durch. Versorgung. Ein Dauerthema in der gesundheitspolitischen Debatte ist die medizinische Versorgung im ländlichen Raum. Regelmäßig berichten die Medien über Kommunen, die verzweifelt Nachfolger für frei werdende Praxen suchen. Wenngleich dieses Problem nicht allein die haus- und fachärztliche Versorgung betrifft, ist der zahnärztliche Bereich verhältnismäßig gering betroffen und steht deshalb auch nicht im Fokus der Politik. Dies betrifft auch die Ende des vergangenen Jahres auf Druck der CDU beschlossene „Landarztquote“ im Zuständigkeitsbereich des Wissenschaftsministeriums. Von 150 Foto: Sozialministerium Baden-Württemberg neuen Medizin-Studienplätzen in Freiburg, Heidelberg, Tübingen und Ulm sollen ab kommendem Wintersemester 75 Plätze an Bewerber*innen auch ohne Einser-Abitur vergeben werden, wenn sich diese verpflichten, mindestens zehn Jahre als Arzt oder Ärztin in einem unterversorgten Gebiet zu arbeiten. Für das Studium der Zahnmedizin gibt es keine derartige Regelung. Auch das von der Landesregierung beschlossene Modellprojekt „Genossenschaftliche Hausarztmodelle“ soll dazu beitragen, den Beruf der Landärztin oder des Landarztes für junge Ärztinnen und Ärzte etwa durch weniger Bürokratie, geteiltes Risiko sowie eine geringere Arbeitsbelastung attraktiver zu gestalten. MVZ. Indessen hat die Landesregierung auch ohne weitere gesetzgeberische Kompetenz in der ZBW 4/2020 www.zahnaerzteblatt.de
Berufspolitik 23 Gesundheitspolitik den Nachweis erbracht, dass die Sicherung sowie die regionale Steuerung der Versorgung für sie eine wichtige Rolle spielen. Eine Herausforderung für die Versorgung stellte in den letzten Jahren zusehends das Aufkommen Medizinischer Versorgungszentren (MVZ) dar, die sich im zahnärztlichen Bereich maßgeblich in den Ballungszentren konzentrieren. Hier setzte sich die Landesregierung auf Bundesebene dafür ein, durch gesetzliche Änderungen den Einfluss von Fremdinvestoren auf die zahnärztliche Versorgung zu begrenzen, was dann im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) tatsächlich auch geschehen ist. Regionalität. Verdienste um die regionale Steuerung der Gesundheitsversorgung hat sich Minister Lucha zudem in den Auseinandersetzungen um die Reform der gesetzlichen Krankenkassen erworben. So wehrte er sich vehement gegen die Pläne von Bundesgesundheitsminister Spahn, die bestehende regionale Gliederung der AOKen aufzugeben und diese stattdessen bundesweit zu öffnen. „Erhebliche negative Auswirkungen einer derart veränderten Versichertenstruktur auf die betroffenen Ortskrankenkassen und letztendlich auch auf die Versorgungsstruktur im Kerngebiet der jeweiligen Ortskrankenkasse wären zu erwarten“, schrieb Lucha im März 2019 gemeinsam mit den Fachministern dreier weiterer Bundesländer an Spahn – wenig später legte er mit seinem hessischen Amtskollegen sogar einen Gegenvorschlag zur Krankenkassenreform vor, der eine dezidierte Stärkung der Regionalität vorsah. Auch in dieser Frage machte sich der Einfluss der Länder deutlich bemerkbar: Die zen tralistischen Pläne von Jens Spahn wurden aus dem mittlerweile beschlossenen „Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz“ (ursprünglich „Faire-Kassenwahl-Gesetz“) wieder herausgestrichen, die bestehende Struktur im Wesentlichen erhalten. Der Zustimmung der Zahnärzteschaft in Baden-Württemberg und ihrer Standesvertretung konnte sich Manne Lucha bei seiner Initiative sicher sein. Digitalisierung. Zunehmend bedeutsam für die Versorgung wird das Thema „Digitalisierung in Medizin und Pflege“. Im Rahmen der Digitalisierungsstrategie digital@bw hat das Sozialministerium verschiedene Schwerpunkte definiert, in denen die medizinische und pflegerische Versorgung durch digitale Lösungen verbessert werden soll. Dies betrifft die Bereiche der ambulanten und stationären Versorgung, die sektorenübergreifende Versorgung, den Pflegebereich sowie personalisierte Medizin. Für die Umsetzung der Strategie „Digitalisierung in Medizin und Pflege in Baden-Württemberg“ stehen dem Ministerium nach eigener Angabe 4,3 Millionen Euro zur Verfügung – angesichts der Gesamtinvestitionen von einer Milliarde Euro für die Digitalisierung bis zum Jahr 2021 mutet dieser Anteil eher bescheiden an. Gleichwohl hat sich in Baden-Württemberg mit entsprechender Förderung durch das Land einiges getan, etwa das bundesweit erste Telemedizin-Projekt docdirekt der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg. Zunächst als Modellprojekt auf die Stadt Stuttgart und den Landkreis Tuttlingen beschränkt, wurde dieses inzwischen auf das ganze Bundesland ausgeweitet. Daran anknüpfend wurde im Rahmen des Projekts GERDA (Geschützter E-Rezept- Dienst der Apotheken) bundesweit erstmals das elektronische Rezept für gesetzlich Versicherte im Land erprobt. Krisenmanagement. In einem Jahr bis zur Landtagswahl kann noch viel passieren. Vieles wird davon abhängen, wie die Regierung jetzt den Umgang mit den zunehmenden Coronavirus-Infektionen managt. Ob die Entscheidung – trotz anderslautender Empfehlung vonseiten des Bundesgesundheitsministeriums und heftigster Diskussionen im Vorfeld – das Fußballspiel VfB Stuttgart-Arminia Bielefeld am 9. März stattfinden zu lassen, klug war, wird sich noch weisen. Dr. Holger Simon-Denoix Anzeige Macht Krach. Macht Hoffnung. Spenden Sie Saatgut. brot-fuer-die-welt.de/ ernaehrung www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2020
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