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65 Jahre Landeszahnärztekammer

Ausgabe 4/2020

18 Titelthema Interview

18 Titelthema Interview mit Ass. jur. Christian Finster, stv. Vorsitzender der KZV BW „Eine Mitmach-Bewegung auslösen“ Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist eine zentrale Frage für viele junge Zahnärztinnen und Zahnärzte und damit auch für die Arbeit der Standesorganisationen. Die KZV Baden-Württemberg hat 2019 eine repräsentative Studie zur Arbeitssituation, den Bedürfnissen und Erwartungen von angestellten Zahnärzt*innen durchgeführt. Die apoBank veröffentlichte eine Studie bei verschiedenen Heilberufen unter dem Motto „Kind und Kittel“. Ass. jur. Christian Finster, stellv. KZV-Vorsitzender, spricht in der apoView 2019 über die Ergebnisse der Studien und die Aufgabe der Selbstverwaltung. Dieses Interview wird hier nachgedruckt. Herr Finster, was hat Sie an den Studienergebnissen aus „Kind und Kittel“ am meisten überrascht? Auffällig ist, dass Zahnärzte und vor allem Zahnärztinnen deutlich häufiger als andere Heilberufler davon ausgehen, dass die Selbständigkeit durch ein Kind erschwert wird. Es gibt also offensichtlich großen Nachholbedarf, unseren jungen Berufseinsteigern aufzuzeigen, dass die Verwirklichung der beruflichen Ziele, also auch eine Niederlassung, dem Wunsch, Familie und Kinder zu haben, nicht entgegenstehen muss. Und selbstverständlich müssen wir uns zielgenau um strukturelle Verbesserungen kümmern. Sie haben vor kurzem eine eigene Studie unter angestellten Zahnärzt*innen durchgeführt. Zu welchen Erkenntnissen sind Sie auf regionaler Ebene gekommen? 76 Prozent der Befragten unter 35 Jahren planen eine spätere Niederlassung in Selbständigkeit. Das ist ein ganz klares Bekenntnis und ein ermutigendes Zeichen, dass die freiberufliche Tätigkeit als niedergelassene Zahnärztin oder niedergelassener Zahnarzt keineswegs der Vergangenheit angehört. Außerdem konnten wir feststellen, dass auch die Niederlassung in ländlichen Gegenden durchaus attraktiv ist: 44 Prozent der Befragten sehen keinerlei Hindernisse gegen eine Praxis auf dem Land. Dieser Wert ist besser als von manchen erwartet. Für ein großes Flächenland wie Baden- Ass. jur. Christian Finster Württemberg ist diese Offenheit der jungen Berufsangehörigen sehr wichtig. Aber die Rahmenbedingungen müssen stimmen, und hier gibt es deutliche Parallelen zu „Kind und Kittel“, wo die befragten Zahnärzt*innen fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten als großes Manko betonen. Wo lassen sich bei Ihrer Umfrage sonst noch Parallelen zu „Kind und Kittel“ ableiten? Ich sehe in vielen Bereichen Übereinstimmungen. Ein ganz entscheidender Punkt ist beispielsweise die Belastung durch Bürokratie. Zwei Drittel der Zahnärzt*innen wünschen sich der apoBank-Studie zufolge eine Entlastung bei nicht zahnärztlichen Tätigkeiten zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Trotz unterschiedlicher Fragen in den beiden Studien gehen die Antworten ganz klar in dieselbe Richtung. Auflagen und Bürokratie werden von den angestellten Zahnmedizinern als ein zentrales Niederlassungshemmnis angesehen. Und weil ihnen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf wichtig ist, wählen viele das Anstellungsverhältnis, bei dem sie deutlich weniger von der wachsenden Last der Auflagen betroffen sind. Die Lösung liegt auf dem Tisch: Wir brauchen dringend eine Entlastung von der Bürokratie aufgrund geltender Gesetze. Welchen Stellenwert hat das Thema Vereinbarkeit von Familie und (Zahnarzt-)Beruf im Rahmen der Arbeit Ihrer Standesorganisation? Innerhalb der KZV Baden- Württemberg haben wir dieses Thema seit Längerem als zukunftsrelevant erkannt. Es ist unser erklärtes Ziel als Standesorganisation, beim Thema Familie und Beruf den Wünschen der jungen Generation von Zahnärzt*innen so gut wie möglich entgegenzukommen. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf war bereits Gegenstand von Veranstaltungen. Wir legen Wert auf eine gute Information unserer Mitglieder. Wir haben ein Zukunftsmanagement installiert, das sich mit den Veränderungen des Berufsstands und den Zielen, die wir erreichen wollen, generell und systematisch befasst. Konkret haben wir als Vorstandsreferenten für Zukunftsfragen Foto: Stollberg ZBW 4/2020 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 19 einen jungen Zahnarzt und als Vorstandsreferentin für Frauen und Angestellte in der Selbstverwaltung eine junge Zahnärztin berufen. Diese kümmern sich gezielt um Fragen der künftigen Berufsausübung und die damit verbundenen Herausforderungen. Wir diskutieren darüber hinaus in unseren „Denkwerkstätten“ über zentrale Aufgaben und darüber, welche Antworten wir als Selbstverwaltung geben können. Die selbständige Arbeit in der Einzelpraxis schneidet in unserer Studie in puncto Familienfreundlichkeit auch bei den Zahnärzt*innen vergleichsweise schlecht ab. Können Sie dieses Ergebnis deuten und teilen Sie diese Einschätzung? Flexible Arbeitszeiten, die Rücksicht auf familiäre Verpflichtungen nehmen, oder auch der Wunsch nach Teilzeitarbeit sind in einer Praxis mit mehreren Zahnärzt*innen natürlich deutlich leichter zu gewährleisten. Und es ist nachvollziehbar, dass sich in einer Berufsausübungsgemeinschaft gerade auch die Aufgaben, die über die reine Behandlung hinausgehen, etwa in der Praxisverwaltung oder der Personalführung, besser aufteilen lassen. Der klassische „Einzelkämpfer“ muss dagegen den gesamten Praxisbetrieb alleine verantworten und hat ein gleichbleibend hohes Arbeitspensum. Kommt daher auch der Trend zu größeren Praxisstrukturen? Der hat sicherlich damit zu tun, dass Familie und Work-Life-Balance immer wichtiger werden. Gerade bei den Frauen, deren Anteil im Berufsstand immer größer wird, wollen sich laut unserer Studie überdurchschnittlich viele in einer Berufsausübungsgemeinschaft niederlassen. Die Einzelpraxis wird jedoch aus Versorgungsgründen auch in Zukunft gebraucht werden – gerade in dünner besiedelten Landstrichen. Insofern wird es nötig sein, Mittel und Wege zu finden, diese Praxisform ebenfalls attraktiv zu halten, denn wir brauchen viele junge Zahnärzt*innen, um die frei werdenden Praxen zu übernehmen. Hier ist es wichtig, deutlich zu machen, dass einerseits die in der Verantwortung der KZ- Ven liegende Sicherstellung der Versorgung, andererseits aber auch Fragen der Infrastruktur – etwa im Bereich von Bildung und Betreuung –, die in der Verantwortung der Politik liegen, eine entscheidende Rolle spielen. Am Schnittpunkt müssen die KZVen in synergetischer Weise mit den Kommunen kooperieren. Was muss aus Ihrer Sicht nun passieren, um sich dem Thema weiter anzunähern und weitere Maßnahmen zur Verbesserung der Vereinbarkeit zu initiieren? Ein wichtiger Schritt, um der Bedeutung des Themas seitens der Standesorganisationen gerecht zu werden und konkrete Verbesserungen zu erreichen, ist, dass wir gezielt auf Dauer genügend junge Zahnärzt*innen in genau dieser Lebenssituation für die Arbeit in der Selbstverwaltung gewinnen können. Wir müssen eine Mitmach-Bewegung auslösen. Denn die Betroffenen brauchen eine starke Stimme in der Standespolitik, und dafür müssen wir die Möglichkeit schaffen. Wie für den Praxisalltag gilt auch für das Ehrenamt: Beides muss mit dem Familienwunsch vereinbar sein. Die jungen Zahnärzt*innen müssen sich in den Standesorganisationen – die nicht Staat sind – zusammenfinden können, um dort ihren Freiheitsund Selbstentfaltungsanspruch selbst koordinieren zu können. Die Akzeptanz der Standesorganisationen wird in der Zukunft entscheidend mit ihrem Service für die Mitglieder zu tun haben. Der Service muss sich daran ausrichten, was die – jungen – Mitglieder brauchen. Wichtig ist es zum Beispiel, die Praxen mit dem weit verbreiteten Wunsch nach flexibleren Arbeitszeitmodellen nicht alleine zu lassen, sondern im Rahmen unserer Beratungstätigkeit gezielt zu unterstützen. Im Wettbewerb um qualifizierte Angestellte ist das ein großes Plus. Nachdruck mit freundlicher Genehmigung: apoView Anzeige „Man muss Glück teilen, um es zu multiplizieren.“ Marie von Ebner-Eschenbach 2015/1 www.sos-kinderdoerfer.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2020 SKD_Anzeige_IM0_Mini_92x25_sw_RZ.indd 1 22.04.15 15:51

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