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50 Jahre Zahnärzteblatt

Ausgabe 1/2023

44_BERUFSPOLITIK

44_BERUFSPOLITIK ZBW_1/2023 www.zahnaerzteblatt.de Gemeinsame Gutachtertagung im Bezirk Stuttgart UPDATE FÜR GUTACHTERWESEN Am 22. Oktober 2022 fand in der Filharmonie in Filderstadt die gemeinsame Gutachtertagung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung BW BD Stuttgart und der Bezirkszahnärztekammer (BZK) Stuttgart mit 108 Teilnehmerinnen und Teilnehmer statt. Nach der Begrüßung durch die Gutachterreferentin der BZK Stuttgart, Dr. Florentine Carow-Lippenberger, folgte ein Grußwort von Dr. Bert Bauder, Vizepräsident und Gutachterreferent der Landeszahnärztekammer BW. Begrüßung. Dr. Florentine Carow-Lippenberger hieß die Teilnehmenden willkommen. Prof. Dr. Jens Türp eröffnete mit seinem ersten von zwei Vorträgen das interessante und praxisnahe Programm für die Gutachterinnen und Gutachter. Er referierte über das große Thema craniomandibuläre Dysfunktion (CMD). Im ersten Teil seines Vortrages lag der Schwerpunkt auf Bruxismus und Inhalten des Bruxismus-Befundes. Zu den unverzichtbaren Inhalten zählen anamnestische Angaben wie der Eigenbericht der Betroffenen über Zähneknirschen, verspannte Muskeln und unspezifische Zahnschmerzen. Wichtige klinische Befunde wie Hypertrophie und Verhärtungen des Musculus masseter einhergehend mit Druckdolenz der Kaumuskulatur, Attrition der Zähne, Schlifffacetten, keilförmigen Defekten sowie okklusalen Grübchen auf den Kauflächen der Molaren kommen dazu. Außerdem liegen häufig radiologische Befunde wie Abflachung des Condylus bzw. Tuberculum articulare sowie Knochenanlagerungen im Kieferwinkel vor. Auf die Frage, ob Bruxismus eine Krankheit ist, antwortet Prof. Dr. Türp mit einem klaren Nein – es ist ein Stressventil, das bei einer gewissen Ausprägung einen Schutz der Zähne und eine Behandlung der Folgen erfordert. Foto: BZK Stuttgart Die Vorsitzende des Vorstands der KZV BW, Dr. Ute Maier, berichtete über die Auswirkungen der neuen PAR-Richtlinien im zahnärztlichen Vertragsgutachten. Auch das Gutachterwesen ist von gewissen Änderungen betroffen. Die Verpflichtung zur Mitarbeit ist weggefallen und das Fehlen von Zahnstein und sonstigen Reizfaktoren ist keine Voraussetzung zur Beantragung einer PAR-Therapie. Sie betonte aber auch, dass die gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten nach SGB V für ihre Gesundheit mitverantwortlich sind und an Krankenbehandlungen und Rehabilitationen aktiv mitwirken sollen. Dies könnte von Relevanz sein, wenn es um eine Verlängerung der unterstützenden Parodontitistherapie (UPT) oder einer erneuten Beantragung geht. Anhand von Fallbeispielen wurden konkrete Problemstellungen diskutiert und Lösungswege aufgezeigt. Aufgrund des am Vortag beschlossenen Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung wurde im Auditorium lebhaft diskutiert. ARTHRALGIEN UND MYALGIEN Nach einer kurzen Pause mit intensivem, kollegialem Austausch folgte die Fortsetzung von Prof. Dr. Türp. Er ging auf die Diagnostik und Therapie von Arthralgien und Myalgien ein. Anhand eines Negativ- Fallbeispiels zeigte er typische Fehler wie Überdiagnostik und falsche Kommunikation auf. Er betonte, dass die elektronische Registrierung von Kieferbewegungen nur in der Forschung sinnvoll ist. Die wichtigsten Instrumente in der Diagnostik seien Fragen, Zuhören und mit den Händen untersuchen. Prof. Dr. Türp verwies auf die S3-Leitlinie „Diagnostik & Behandlung von Bruxismus“ der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich-Medizinischen Fachgesellschaften als aktuell beste Literaturfundstelle. Traditionell stellte Dr. Gerhard Cube einen interessanten Fall aus seinem reichen Fundus an Gerichtsgutachten vor. Dieses Mal ging es um eine Verletzung des Nervus alveolaris inferior bei Implantation mit nachfolgender Hypästhesie. Trotz Aufklärung über eine mögliche Nervschädigung stellte dies im vorliegenden Fall einen Behandlungsfehler dar. Am Nachmittag berichtete der erste Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft Stuttgart, Thomas Hochstein, über die staatsanwaltlichen Anforderungen an zahnmedizinische Gerichtsgutachten. Die Staatsanwaltschaft behandelt Tatvorwürfe wie Behandlungsfehler, Abrechnungsbetrug, Dokumentenfälschung, Verletzung der Schweigepflicht sowie die Verweigerung der Durchführung von Maßnahmen, die bei einer Praxisbegehung verordnet wurden. In seinem Vortrag ging er auf die Unterschiede zwischen Strafrecht und Zivilrecht ein. Er erklärte, dass die Staatsanwaltschaft die Schuld des Beschuldigten beweisen muss, die Beweislastumkehr besteht nicht. Allerdings sind die Strafen erheblicher und das Vorgehen ist rigider. In der Gutachtenerstellung gibt es keine strikte Bindung an die Beweisfragen wie im Zivilprozess, denn es geht um die Aufklärung der materiellen Wahrheit und nicht um die formelle Wahrheit. Thomas Hochstein machte deutlich, dass es sich im Strafprozess um ein inquisitorisches Verfahren und nicht um einen Parteiprozess wie im Zivilprozess handelt. Es findet zwingend ein Ermittlungsverfahren statt. Staatsanwälte fordern – wie auch die Zivilgerichte – von zahnmedizinischen Sachverständigengutachten eine für den Fachfremden verständliche und fachgerechte Formulierung. FALLBEISPIELE Zum Abschluss der gelungenen Gutachtertagung mit interessanten Fallbeispielen, die der Gutachterreferent der KZVBW BD Stuttgart, ZA Peter Hill, routiniert vorstellte, sowie einer lebhaften Diskussion stellten alle Teilnehmer und Referenten fest, dass der kollegiale Austausch vor Ort für die Tätigkeit der Gutachterinnen und Gutachter unersetzlich ist. Dr. Florentine Carow-Lippenberger

ZBW_1/2023 www.zahnaerzteblatt.de 45_BERUFSPOLITIK Gemeinsame Gutachtertagung von KZV BW und BZK Karlsruhe in Mannheim PLANUNGSFEHLER ERKENNEN Nach vielen Jahren, in denen die regionale Gutachtertagung für den Bezirk Nordbaden nur von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KZV BW) ausgerichtet wurde, ist es in diesem Jahr gelungen, am 29. Oktober 2022 wieder eine gemeinsame Gutachtertagung von KZV BW und der Bezirkszahnärztekammer Karlsruhe auszurichten. Die Gutachterreferentin der KZV BW BD Karlsruhe, Dr. Gudrun Börsig, und der Gutachterreferent der BZK Karlsruhe, Dr. Bert Bauder, haben ein ganztägiges Programm zusammengestellt, das (zum Glück in Präsenz) von ca. 40 anwesenden Gutachterinnen und Gutachtern im Zahnärztehaus Mannheim interessiert aufgenommen wurde. Abschied. Die anwesenden Gutachterinnen und Gutachter verabschiedeten die Vorstandsvorsitzende der KZV BW Dr. Ute Maier mit lang anhaltendem Applaus. Dr. Ute Maier, Dr. Gudrun Börsig, Dr. Bert Bauder (v. l.). Am Vormittag referierte Prof. Dr. Marc Schmitter, Würzburg, über vollkeramische Restaurationen. Hierbei wurde von ihm mehrfach betont, dass unbedingt vor vollkeramischen Restaurationen die Patientinnen und Patienten auf Bruxismus überprüft werden sollten. Wird dies unterlassen und eine dafür vom Hersteller nicht freigegebene Keramik verwendet, so hat der Behandler im Streitfall relativ schlechte Karten, weil die Gutachterin bzw. der Gutachter dann einen Planungsfehler attestieren müsste. Interessant war auch die Aussage, dass Zirkondioxidkeramik nicht gleich Zirkondioxidkeramik ist, da es mittlerweile fünf Generationen davon gibt, die in ihrer Bruchzähigkeit und damit in ihrem Verwendungsspektrum völlig unterschiedlich sind. Hier gilt es für die Gutachterin bzw. den Gutachter, im Streitfall zu prüfen, welche Generation zum Einsatz gekommen ist, da davon maßgeblich die Beurteilung des Falles abhängen kann. PAR-RICHTLINIE Im zweiten Teil des Vormittages berichtete die Vorstandsvorsitzende der KZV Baden-Württemberg, Dr. Ute Maier, die im Vorstand auch für das Gutachtenwesen zuständig ist, von den gutachterlichen Erfahrungen im Foto: BZK Karlsruhe Bereich der seit 1.7.2021 geltenden neuen PAR-Richtlinie. Hierbei stand auch das erst kürzlich im Bundestag verabschiedete GKV-Finanzstabilisierungsgesetz im Fokus, welches durch strikte Budgetierung die Erfolge der neuen PAR-Therapie wieder zunichtemachen kann. Dr. Maier plädierte dennoch für eine gewisse Gelassenheit in Baden-Württemberg aufgrund vorausschauender Absprachen des KZV-Vorstandes mit den Krankenkassen. Sie empfahl den Gutachterinnen und Gutachtern, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen die ihnen vorliegenden Pläne zu befürworten. Zum Schluss ihres Vortrages wurde Dr. Maier, die zum Jahresende aus dem Amt als Vorstandsvorsitzende der KZV BW ausscheidet, von der BD Karlsruhe, der BZK Karlsruhe und den anwesenden Gutachterinnen und Gutachtern mit Blumen, einem edlen Tropfen und lang anhaltendem Applaus verabschiedet. GERICHTSGUTACHTEN Nach dem Mittagessen eröffnete Dr. Heiner Stecher, Vorsitzender Richter am OLG Karlsruhe und Vorsitzender der Gutachterkommission der BZK Karlsruhe, den Nachmittag mit einem griffigen Vortrag zu den Unterschieden eines Gutachtens bei Gericht und einem Gutachterverfahren bei der Gutachterkommission für Fragen zahnärztlicher Haftung. Die Gutachtertagung 2022 beschloss Dr. Bert Bauder mit einem Vortrag über Fehlervermeidung bei Gerichtsgutachten sowie Tipps und Tricks, wie man sein schriftliches Gutachten bei einer mündlichen Verhandlung bei Gericht verteidigt. Dr. Gudrun Börsig konnte pünktlich um 16 Uhr die diesjährige Gutachtertagung beenden. Dr. Bert Bauder

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