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2021 - Superwahljahr

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1/2021

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8 Titelthema KZV im Gespräch: Interview mit Prof. Dr. Daniel Buhr Regierung hat Arbeit, Gesundheit und Sozialem nicht viel Bedeutung beigemessen Spätestens mit Beginn der Coronapandemie hat das weite Feld der Gesundheitspolitik eine enorme Aufwertung in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren. Gleichwohl sorgt die föderale Ordnung dafür, dass der jeweilige Einfluss der unterschiedlichen politischen Ebenen für viele schwer zu überblicken ist. Von den Kommunen über die Länder und den Bund bis hin zur europäischen Ebene teilen sich viele Akteure die Zuständigkeiten. Im Vorfeld der Landtagswahl am 14. März haben wir mit dem Tübinger Politikwissenschaftler Prof. Dr. Daniel Buhr darüber gesprochen, was auf Landesebene gesundheitspolitisch in den nächsten Jahren auch jenseits der Pandemiebekämpfung zu erwarten ist. aber nicht begonnen, es wurden ja erst im Dezember die meisten Wahlprogramme verabschiedet. Durch Corona erlebt die digitale Kommunikation einen Aufschwung. Sie sind Mitglied des „Expertenkreises Digitalisierung in Medizin und Pflege“ beim Ministerium für Soziales und Integration. Wo steht das Land in diesem Bereich? ZWB: Herr Prof. Buhr, die Coronakrise hat Sozialminister Manne Lucha auf einen Schlag zur Schlüsselfigur der Landespolitik gemacht. Wie bewerten Sie Vorgehen und Strategie der Landesregierung in der Pandemiebekämpfung – auch im Vergleich zu anderen Ländern? Prof. Buhr: Zunächst einmal: Diese Pandemie und ihre Bewältigung sind absolutes Neuland. Wir lernen jeden Tag dazu und daher fällt eine fundierte Analyse im laufenden Prozess sehr schwer. Zudem schaut ein Großteil der Bevölkerung in diesen Zeiten eher nach Berlin als nach Stuttgart – weil die großvolumigen Hilfsprogramme zunächst vor allem aus dem Bundesfinanzministerium und von Minister Scholz initiiert worden waren und die gesundheitspolitische Agenda stark von Minister Spahn, also dem BMG und dem RKI oder verschiedenen Expertinnen und Experten dominiert worden ist. Hier ist festzustellen, dass die Bundesregierung – in Abstimmung mit den Bundesländern – sehr schnell und entschlossen, engagiert und ambitioniert, aber auch mit sehr viel Geld reagiert hat. Gerade im internationalen Vergleich ist das mehr als beachtlich, wie ja auch viele internationale Vergleiche, zum Beispiel der OECD, eindrucksvoll belegen. Erst in einem nächsten Schritt wurde verstärkt auf die Länder geschaut, auch medial vorangetrieben durch eine Personalisierung des Diskurses, in dem sich bestimmte Ministerpräsidenten wie zum Beispiel die Herren Laschet und Söder vielleicht auch bewusst als Gegenspieler inszenierten. Baden-Württemberg und die Landesregierung haben hier eine leisere, abwartende bzw. eine Mittlerposition eingenommen und eher im Hintergrund gewirkt. Gibt es für die Oppositionsparteien hier konkrete Angriffspunkte für den Wahlkampf oder besteht in dieser Ausnahmesituation eine Art „Burgfrieden“? Zu Beginn herrschte sicherlich eine Art „Burgfrieden“, was aber nicht ungewöhnlich für Krisen ist. Das zeigt sich ja auch in den – gerade zu Beginn – sehr hohen Zustimmungswerten der Bevölkerung zu den Maßnahmen und den handelnden Akteuren in Bund und Land. Erst später haben sich unterschiedliche Bewertungen und Vorschläge zur Krisenbewältigung herauskristallisiert, die nun sicherlich auch mit in den Wahlkampf genommen werden. Noch hat der heiße Wahlkampf Es stimmt, wir erleben gerade alle einen enormen Aufschwung, was die Nutzung digitaler Lösungen im Alltag angeht – angefangen vom Distanzlernen in der Schule bis zur Videosprechstunde beim Facharzt. Allerdings bewegen wir uns in Deutschland nach wie vor auf einem nicht sonderlich hohen Niveau. Das belegen auch immer wieder diverse internationale Vergleiche der Europäischen Kommission oder der OECD. Hier liegen wir europaweit eher im Mittelfeld – in manchen Dimensionen sogar in der Schlussgruppe, beispielsweise was das E-Government angeht. Auch in Baden-Württemberg – und leider gerade im Bereich von Medizin und Pflege. Letztlich scheitern ja nach wie vor bereits viele Innovationen an einer mangelnden digitalen Infrastruktur, aber auch an Unkenntnis und Akzeptanzproblemen, nicht zuletzt durch mangelnde Schulung und Weiterqualifizierung im Bereich der Digitalisierung. Der Wunsch, der Bedarf und die Nachfrage aus der Bevölkerung sind hier wesentlich größer als das noch sehr überschaubare Angebot seitens der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser oder Pflegeheime. Das hat inzwischen aber auch die Landesregierung erkannt und mit der Digitalstrategie digital@BW ein ambitioniertes Programm gestartet. ZBW 1/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 9 Welche Bilanz hat die grünschwarze Landesregierung sonst im Feld der Gesundheits- und Sozialpolitik vorzuweisen? Die Landesregierung war angetreten, „verlässlich, nachhaltig und innovativ“ zu sein, auch in der Gesundheits- und Sozialpolitik. Manne Lucha als Minister bezeichnet sich ja auch gerne als Integrationsminister, der mit seinem Ministerium auch verantwortlich für den gesellschaftlichen Zusammenhalt sei. Sein Bemühen und seine Umtriebigkeit, auch der Versuch alle einzubinden, sind ihm persönlich sicherlich hoch anzurechnen. Der Fokus auf die Stärkung der Pflege und Teilhabe, die Programme in der Quartiersentwicklung, der sektorenübergreifenden Versorgung bis hin zur Personalisierten Medizin, all das hat nicht nur durch den Vorsitz Baden-Württembergs in der Arbeits- und Sozialministerkonferenz der Länder (ASMK) im Jahr 2020 auch bundesweit die Sichtbarkeit erhöht. Dazu beigetragen hat sicherlich auch die Einführung eines recht innovativen Steuerungsinstruments, um die Koordination der Politikfelder im Bereich der Gesundheitswirtschaft zu verbessern: das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg. Allerdings sieht man aber auch, dass die Landesregierung insgesamt – jenseits der Pandemie-Bekämpfung – den Politikfeldern Arbeit, Gesundheit und Soziales zunächst nicht allzu viel Bedeutung beigemessen hat. Das zeigt auch das Beispiel der Digitalisierung. Es gibt überzeugende Initiativen aus dem Ministerium für Soziales und Integration, aber was die Budgetgröße anbetrifft, nimmt sich der Digitalisierungstopf im Vergleich zum Innen- oder Wirtschaftsministerium eher bescheiden aus. Das verwundert umso mehr, wenn man nicht nur die soziale Dimension dieser Politikfelder in Betracht zieht, sondern auch ihre ökonomische und beschäftigungswirksame Bedeutung. Im Bereich des erweiterten Gesundheitssektors sind mehr als eine Million Menschen im Land beschäftigt! Hat das Land bei den drängendsten Herausforderungen des Gesundheitswesens – etwa der Zukunft der wohnortnahen ambulanten Versorgung – überhaupt relevante Gestaltungsmöglichkeiten? Hier kann ich mit einem klassischen „Jein“ antworten. Zum einen ist in unserem sogenannten Pandemie. „Diese Pandemie und ihre Bewältigung sind absolutes Neuland. Wir lernen jeden Tag dazu und daher fällt eine fundierte Analyse im laufenden Prozess sehr schwer“, so Prof. Buhr. konservativen Wohlfahrtsstaat die Steuerungstiefe einzelner politischer Akteure entgegen der landläufigen Meinung nicht sonderlich üppig, wenn wir es etwa mit den skandinavischen Ländern oder Großbritannien und seinem NHS vergleichen. Unser korporatistisches und föderales System ist auf Verhandlung und Beteiligung möglichst vieler, auf Kompromiss und Ausgewogenheit ausgelegt – was mitunter zulasten von Geschwindigkeit und Effizienz geht. Denken Sie nur an die vielen Intermediäre, wie zum Beispiel die KZV, und all die Vetospieler [lacht]… Aber das Land kann sehr wohl Impulse setzen und bei der Implementation unterstützen – und das tut es ja auch, zum Beispiel durch verschiedene Programme und erfolgreiche Projekte in der Quartiersentwicklung, sektorenübergreifenden Versorgung oder über Förderprogramme aus der Digitalisierungsstrategie des Landes. Welche zentralen Aufgaben stehen für die kommenden Jahre bevor? Foto: Alexander Kobusch Die digitale Transformation wird uns als Gesellschaft natürlich weiterhin ganz wesentlich beschäftigen, gerade im Zusammenhang mit dem demografischen Wandel und einem schon heute existierenden Fachkräftemangel. Wie können wir auch in Zukunft eine qualitativ gute medizinische und pflegerische Versorgung – auch im ländlichen Raum – sicherstellen? Hier sind Innovationen gefragt. Durch Digitalisierung kommen wir aber dem Ziel einer besseren, integrierten bzw. sektorenübergreifenden Versorgung sicherlich einen deutlichen Schritt näher. Gibt es hier deutlich sichtbare Unterschiede zwischen den im Landtag vertretenen Parteien, die auch für die Wahlentscheidung eine Rolle spielen können? Ich sehe mittelfristig die größten Konflikte bei der Einnahmeseite – Besteuerung, Sozialversicherungsbeiträge und den Kreis potenzieller Beitragszahler, zum Beispiel mit Blick auf Beamtinnen und Beamte. Die umfangreichen Hilfsprogramme im Zuge der Pandemiebekämpfung, der Ausbau des öffentlichen Gesundheitsdienstes, Impfprogramme, Ausbau der Intensivmedizin und vieles mehr verursachen natürlich – und zurecht – hohe Kosten. Das wird refinanziert werden müssen und wird dann auch die Ausgabensei- www.zahnaerzteblatt.de ZBW 1/2021

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