32 Im Blick Das ZBW-Doppelinterview zum Wandel des zahnmedizinischen Berufsbildes Von Chancen und Bürden Stellt man sich die Frage, wohin sich die Zahnmedizin entwickelt, hilft ein Blick auf aktuelle demografische und branchenspezifische Trends. Im Gespräch mit den Praktizierenden hingegen eröffnen sich nochmals gänzlich andere Blickwinkel. Im Doppelinterview mit einem Zahnarzt, der seit 40 Jahren praktiziert und einer Zahnärztin, die seit fünf Jahren ihre Praxis führt, kamen Aspekte zur Sprache, die zum Nachdenken anregen. Wie hat sich das Berufsbild in der Eigenwahrnehmung im Laufe der Jahre verändert und welche Vorstellungen vom anvisierten Traumberuf änderten sich nach der Universität? Das ZBW hat nachgefragt. Dr. Scheuermann, Sie praktizieren seit 40 Jahren als Zahnarzt in Bopfingen. Erinnern Sie sich an die Zeit, als Praxen noch mit Karteikarten verwaltet wurden? Selbstverständlich, denn sie waren seinerzeit die verlässliche Basis jeder Praxis – und passend dazu stellen unsere Patienten- Karteikarten nunmehr nicht zu hackende „Festplatten“ unserer digitalen Praxisstruktur dar. So sind die ganzen Abrechnungen wie auch Pan, FernRö usw. digital und nicht mehr analog wie 1980. Frau Wälder, Sie führen Ihre Praxis seit 2015 in Stuttgart. Ist für Sie eine Praxis ohne digitale Ausstattung überhaupt vorstellbar? Definitiv nicht. Ich genieße die Möglichkeit, nicht weiter Schränke voller physischer Karteikarten pflegen zu müssen. Alleine das tägliche Sortieren, Vorbereiten, Wegsortieren, Suchen, weil noch eine Karte in der Abrechnung liegt, verursachte mir Stress. Die Speicherung der Akten auf dem Praxisserver, sodass alle bei Bedarf zugreifen können, ohne dass eine Akte zwischen anderen verloren geht oder übersehen wird. Die Möglichkeit von zu Hause aus noch an Akten arbeiten zu können, finde ich sehr charmant und dem modernen Leben angepasst. Wie muss eine Praxis Ihrer Ansicht nach heute aufgestellt sein, ZÄ Leonie Wälder. „Ich werde regelmäßig darauf angesprochen, dass es schon bemerkenswert ist, wie ich Job und Kinder neben dem Haushalt unter einen Hut bringe. Wie oft wird einem Mann diese Fragenkombination wohl gestellt?“ um wettbewerbsfähig sein zu können? Dr. Konrad Scheuermann: Letztendlich geht es langfristig weniger um eine digitale Selbstdarstellung, sondern um ein ausgewogenes Vertrauensverhältnis. Es ist in der Regel der Patient, der den ersten Schritt macht, indem er*sie in eine Praxis kommt. Insofern gilt es diesen Vertrauensvorschuss redlich anzunehmen und Foto: B. Giesbrecht nachfolgend keine Behandlungen zu kreieren, die man nicht ebenso bei sich selbst oder seiner Familie machen würde. Selbiges erwidert und bestätigt das entgegengebrachte Vertrauen und vermutlich wird der*die neue Patient*in genau dies nicht für sich behalten … Leonie Wälder: Eine Homepage ist ein absolutes Muss. Eine volldigitale Ausstattung dagegen nicht. Da muss jeder seine eigene Arbeitsweise finden. Allerdings empfinde ich z. B. ein digitales Röntgen inzwischen schon als Standard. Zu viel Hightech wird von einigen Patient*innen als unsympathisch empfunden. Eine digitale Abformung z. B., wird nach meiner Erfahrung als äußerst angenehm empfunden und auch leise nachgefragt. Die unproblematische Ablage von digitalen Fotografien in der Patientenakte zur Dokumentation ist ebenfalls sehr angenehm. Eine Verknüpfung zur digitalen Terminvereinbarung mit Schnittstellen zu den Verwaltungsprogrammen empfinde ich als tolle Möglichkeit für Patient*innen auch am Wochenende und nach Feierabend einige vorbestimmte Termine vereinbaren zu können. Außerdem entlastet es die Rezeption von der telefonischen Erinnerung der Patient*innen bzw. reduziert Umsatzverlust durch verpasste bzw. vergessene Termine. Herr Dr. Scheuermann, Sie entschieden sich bewusst für eine Praxis auf dem Land, erklären Sie uns warum? Nun, der KZV war es bereits 1979 ein Anliegen, unterversorgte Regionen zu besetzen und ich wollte mich niederlassen, wo man auch gebraucht wird. Für Ersteres setzt man sich wohl nach wie vor ein, da der ländliche Raum trotz der Naturnähe und anderen Vorteilen nach wie vor unterbesetzt ist. ZBW 1/2021 www.zahnaerzteblatt.de
Im Blick 33 Frau Wälder, wie haben Sie sich Ihren Praxisstandort ausgewählt? Meine Praxis vereint für mich die Vorzüge nahe an der Stadt zu sein und gleichzeitig eine sehr persönliche Einbindung in die Gemeinde um meine Praxis zu haben. Herr Dr. Scheuermann, auf welche zahnmedizinischen Behandlungskonzepte setzten Sie zu Beginn Ihrer Laufbahn? Haben sich diese im Laufe der Jahre verändert und warum? Auf dem flachen Lande war man seinerzeit weitgehend auf sich allein gestellt. So gab es zum Beispiel im östlichen Ostalbkreis und dem angrenzenden Bayern mit Nördlingen – zusammen rund 100.000 Einwohner – 1979 keinen MKG-Chirurgen. In Kenntnis dessen habe ich mich in meiner Assistenzzeit hierfür dementsprechend vier Jahre vorbereitet. Dies führte dazu, dass oralchirurgische Fälle auch von Allgemeinärzten an mich verwiesen wurden. Ähnlich lief es mit der in der Fläche unterversorgten Kieferorthopädie. Bezüglich des zweiten Teils Ihrer Frage ist festzuhalten, dass ab dem Jahre 2000 allein in Aalen inzwischen fünf MKG/Oralchirurgen praktizieren. Für den Berufsstand insgesamt hervorzuheben sind jedoch die jahrzehntelangen und erfolgreichen Bemühungen der Zahnärzteschaft zur Realisierung einer guten Vorsorge. Dies zeigt sich an dem im Verhältnis zur demografischen Entwicklung gegenüber früher beachtlich zugenommenen Zahnbestand unserer älteren Mitbürger. Die zahnmedizinische Betreuung der sehr alten, zum Teil pflegebedürftigen, aber inzwischen zumeist gut bezahnten Mitmenschen ist eine zunehmende Herausforderung für unseren Berufsstand. Ergänzend zu alledem wurden von mir in Bopfingen über ein Dutzend gut besuchte interdisziplinäre Fortbildungen mit Uni- Professoren und zwei davon mit Kammer-Richtern zu Rechtsfragen in der zahn/ärztlichen Praxisführung ausgerichtet. Allerdings waren Sie, Herr Dr. Scheuermann nicht nur als Zahnmediziner in Ihrer Praxis tätig, sondern machen unter anderem auch Hausbesuche, sind seit 1989 Prüfer an der Berufsschule, kümmern sich um Patienten in der Wachkoma-Station sowie dem Altersheim und machen Prophylaxe-Schulungen in den örtlichen Kindergärten. Wäre Ihnen diese Aufgabenvielfalt mit den heutigen Ansprüchen an den Beruf auch noch möglich? Dr. Konrad Scheuermann. „Auf dem flachen Lande war man seinerzeit weitgehend auf sich allein gestellt. So gab es zum Beispiel im östlichen Ostalbkreis und dem angrenzenden Bayern mit Nördlingen – zusammen rund 100.000 Einwohner – 1979 keinen MKG-Chirurgen“. Also das hat sich ja alles nacheinander entwickelt und beschreibt Berufliches aus sehr vielen Jahren. Im Übrigen besteht die Beanspruchung mit diesen Aufgaben nicht immer gleichzeitig, bringt jedoch interessante Abwechslung im Berufsalltag einschließlich der Intention dem Versorgungsauftrag sozial gerecht zu werden. Wenn Sie, Frau Wälder, einen Blick auf diese Aufgabenvielfalt Ihres Kollegen und vor allem das Foto: Johannes Paus Angebot der Hausbesuche werfen, welche Gedanken kommen Ihnen dabei? Wow, da bin ich mächtig beeindruckt. Die nötige Organisation und den Zeitaufwand könnte ich, als Mutter mit zwei Kindern und einer Vollzeitpraxis, neben ein wenig Aktivität in der Standespolitik und dem FVDZ, nicht auch noch leisten, wenn meine Praxis noch wirtschaftlich laufen soll. Am Ende des Tages muss jeder von uns sein Geld verdient haben, leider wird jungen Kolleg*innen dieser Weg immer schwerer gemacht. Frau Wälder, Sie sprechen hier einen Punkt an, der mir die Vorarbeit zu diesem Artikel sehr erschwert hat, denn keine junge Zahnärztin war zunächst bereit, meine Fragen zu beantworten, alle befürchteten einen Shitstorm – können Sie das nachvollziehen? Warum haben Sie sich dennoch getraut? Man muss immer damit rechnen, dass man nicht nur Lob und Zuspruch erfährt, wenn man seinen Mund aufmacht. Eine Diskussion über die verschiedenen Sichtweisen auf den Berufsstand kann uns meines Erachtens nach nur nach vorne bringen. Da ich mich gerne engagiere, bin ich gerne bereit, Fragen auch öffentlich zu begegnen. Herr Dr. Scheuermann, überrascht es Sie, dass sich junge Zahnärztinnen heutzutage nicht trauen, sich öffentlich zu äußern, weil sie fürchten, von Kolleg*innen diffamiert zu werden? Also eigentlich verstehe ich das nicht. Sich zu relevanten Fragen zu äußern, ist etwas anderes als eine Homepage aber sicherlich noch keine Zivilcourage. Es geht doch schließlich nur um die Bereitschaft, sich beim eigenen Berufsstand mit seinen Erfahrungen konstruktiv einzubringen. Richten wir unseren gemeinsamen Blick auf die Ausübung des zahnmedizinischen Berufs und www.zahnaerzteblatt.de ZBW 1/2021
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