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1/2021

28 Fortbildung Patienten

28 Fortbildung Patienten unter Bisphosphonatdauertherapie Spezielle Aspekte im Praxisalltag In den frühen 2000er-Jahren wurden die ersten Fälle von Kieferosteonekrosen nach Bisphosphonateinnahme berichtet und seither ist deren unerwünschte Wirkung bekannt und gefürchtet. Leider stellte sich die Annahme, dass diese Nebenwirkung bei Denosumab aufgrund einer anderen Wirkweise ausbleiben würde, als Irrtum heraus. Zahnärzten kommt daher die Aufgabe zu, Patienten unter Bisphosphonattherapie engmaschig zu überwachen. Der alternde Patient hat in der heutigen Zahnmedizin einen hohen Stellenwert. Sei es aufgrund von Osteoporose oder aufgrund knöchern metastasierter Tumorerkrankungen – wie z. B. bei einem Prostatakarzinom oder einem Mammakarzinom – in der Medikamentenliste vieler älterer Patienten finden sich Bisphosphonate wie Alendronat (Fosamax ® ), Risedronat (Actonel ® ) oder Zoledronat (Zometa ® ). Ein aufkommender Trend ist die Verschreibung von Denosumab (Xgeva ® ) zur Stabilisierung der Knochen und als Alternative zu „klassischen“ Bisphosphonaten. Die verschriebene Menge hat sich im Falle von Denosumab zwischen 2010 (Markteinführung) und 2013 um den Faktor 20 gesteigert. Der Begriff der Osteonekrose beschreibt das Absterben eines Teiles des Knochens – im Falle der Bisphosphonate betrifft das zumeist den Unter- oder Oberkiefer. Deswegen ergibt sich für Zahnärzte eine besondere Herausforderung im Umgang mit den meist ohnehin multimorbiden und alten Patienten, die unter einer Bisphosphonatdauertherapie stehen. Dieser Artikel soll auf die Pathogenese, die Therapie und auf die spezielle Bedeutung der Bisphosphonatassoziierten Kieferosteonekrosen (englisch bisphosphonate-associated osteonecrosis of the jaw, kurz BPONJ) eingehen. Der Knochen. Jeder Knochen besteht aus zweierlei Anteilen – der äußeren Corticalis (auch „Compacta‟) und der inneren Spongiosa. Wie der Name beschreibt, ist der Rindenanteil etwas fester, der schwammartig aufgebaute innere Teil etwas lockerer strukturiert. Umgeben wird der Knochen nach außen vom Periost und nach innen vom Endost. Auf mikroskopischer Ebene finden sich in der Corticalis kleine, kreisrunde Strukturen – die Osteonen. Diese wiederum sind aufgebaut aus einem Knochenkanal und vielen diesen umgebende Knochenlamellen. In diesem sogenannten Haverskanälchen befinden sich die kleinen Blutgefäße, die die Rindenschicht des Knochens ernähren. Haverskanälchen kommunizieren untereinander über querverlaufende Volkmannkanäle. Der Knochen befindet sich in einem ständigen Zustand zwischen Auf- und Abbau. Osteoklasten bauen alten Knochen ab, der umgehend von den Osteoblasten durch neuen Knochen ersetzt wird. Diese Prozesse laufen zellbiologisch sehr komplex ab und ein Eingreifen in diese Prozesse kann zur Entstehung einer Knochennekrose führen. Wirkmechanismus. Bisphosphonate haben eine hohe Affinität zu den Resorptionslakunen an der Knochen oberfläche – also zu genau dem Bereich, an dem die Osteoklasten am aktivsten sind und Knochenabbau stattfindet. Durch eine starke Bindung an Calcium werden die Bisphosphonate so in den Knochen eingelagert und können Jahrzehnte persistieren. Im Falle einer Knochenresorption, also eines Knochenabbaus Abb. 1 Abb. 2 Freiliegender Kieferknochen. Os liber am Oberkiefer einer Patientin mit Bisphosphonattherapie. Knochenentnahme. Entnahme des freiliegenden nekrotischen Knochens nach Präparation. ZBW 01/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 29 werden sie dann verzögert freigesetzt und hemmen die Osteoklasten 2 . Denosumab hat eine ähnliche Wirkweise, jedoch indirekt. Dieser Antikörper bindet an den Receptor Activator of NF-Kappa B-Ligand (kurz: RANK-L) und deaktiviert ihn. Dieser RANK-L stimuliert sowohl Vorläuferzellen der Osteoklasten zur Reifung als auch die Osteoklasten selbst zur vermehrten Aktivität. Sowohl der Einsatz von Bisphosphonaten als auch von Denosumab führt also zu einer verminderten Osteoklastenaktivität und somit zu einem reduzierten Knochenabbau. Diese Wirkweise ergibt in jedem Falle Sinn, da gezeigt werden konnte, dass vielen Knochenerkrankungen eine erhöhte Osteoklastenaktivität zugrunde liegt. Pathogenese der Osteonekrose. Die genaue Ursache der Osteonekrose ist derzeit noch nicht im Detail geklärt. Es gibt jedoch einige Theorien. Eine der gängigsten Theorien besagt, dass sich Bisphosphonate aufgrund ihrer chemischen Struktur tendenziell im sauren Milieu anlagern. Am Kieferknochen, der ständiger Beanspruchung und Belastung durchs Kauen ausgesetzt ist, herrscht ein solches saures Milieu. Zwar führt eine Senkung des pH-Wertes initial auch zu einer teilweise in Röntgenaufnahmen sichtbaren Dichtezunahme des Knochens durch eine erhöhte Osteoblastenaktivität, allerdings führen Bisphosphonate auch zu einem Anstieg der Akute-Phase-Proteine und zu einer Aktivierung von Granulocyten. Dies kann eine Entzündung hervorrufen, was den pH-Wert noch weiter in den sauren Bereich driften lässt. Sind die Patienten zudem parodontal insuffizient, so entsteht eine Konstellation einer ständigen Ansäuerung und folgender Anreicherung der Bisphosphonate am Kieferknochen 3, 4 . Durch diese deutlich höhere Konzentration ergeben sich für den Kieferknochen im Vergleich zum restlichen Körper einige Nachteile. Ein verminderter Knochenabbau hat auch einen verminderten Neuaufbau zur Folge. Durch dieses fehlende Remodelling sind fehlende Reparaturvorgänge an der Alveole nachvollziehbar. Zudem werden durch die Bisphosphonate auch andere Zellen, wie z. B. Gefäßzellen und Keratinocyten gestört, was zu einer schlechteren Durchblutung des betroffenen Knochens führt. Es wurde außerdem gezeigt, dass Bisphosphonate das Periost sowie die Gingiva beeinflussen und somit eine Osteonekrose begünstigen 5 . Prophylaxe der Osteonekrose und ihrer Folgen. Ziel der BPONJ-Prophylaxe ist die Reduktion des individuellen Risikos und eine Senkung möglicher Cofaktoren wie z. B. eine begleitende Cortisontherapie, Nikotinkonsum oder das Tragen von drückenden Prothesen. Von hausärztlicher Seite aus sollte jede Bisphosphonatgabe hinsichtlich ihrer Indikation genau überprüft werden. Wird bei einem Patienten eine Therapie mit Bisphosphonaten geplant, so sollte zuvor eine zahnärztliche Vorstellung und Sanierung erfolgen. Insbesondere parodontal insuffiziente Zähne sollten bezüglich ihrer Erhaltungswürdigkeit äußerst kritisch betrachtet werden. Diese Herangehensweise ist darin begründet, dass beobachtet wurde, dass fast jeder BPONJ eine orale Wunde oder ein oraler Defekt und die daraus folgende Entzündung vorausgeht. Da solche Defekte auch durch Zahnextraktionen, dentoalveolärchirurgische Eingriffe und Prothesendruckstellen verursacht werden können, sollte durch den Hauszahnarzt vor Beginn einer Bisphosphonattherapie eine gründliche Untersuchung und Optimierung der oralen Situation erfolgen. Geplante Eingriffe und Extraktionen sollten möglichst vor Therapiebeginn erfolgen und die Wundheilung sollte vor Erstgabe des Bisphosphonats abgeschlossen sein. Unter laufender Bisphosphonattherapie ist ein Recall der Patienten alle sechs Monate empfehlenswert, zahnärztliche und zahnärztlich-chirurgische Eingriffe sind dann äußerst kritisch zu betrachten und bezüglich ihrer Indikation in jedem Falle strengstens zu prüfen. Sollte ein Eingriff von unabdingbarer Wichtigkeit sein, so sollte auf eine antibiotische Abschirmung bis zum Abschluss der Wundheilung geachtet werden, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Es sollte zudem möglichst atraumatisch operiert werden und ein aseptischer Wundverschluss erfolgen sowie unter möglichst sterilen Kautelen gearbeitet werden. Ein plastischer Wundverschluss wie z. B. ein epiperiostal präparierter Lappen ist einer Sekundärheilung vorzuziehen 6 . Abb. 3 Abb. 4 Resektat aus dem Oberkiefer. Entfernung. Situs nach Dekortikation des Knochens. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 01/2021

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