8 Titelthema 100 Tage GroKo – ein gesundheitspolitisches Meinungsbild Gesundheitsminister arbeitet Agenda ab Die Bundesregierung hat die ersten 100 Tage hinter sich gebracht. Grund genug für eine Zwischenbilanz. Wie ist die Entwicklung in der Gesundheitspolitik? Wurden schon Gesetze, die im Koalitionsvertrag vereinbart waren, auf den Weg gebracht? Wie sind die Perspektiven? Ein Blick in die Medien. „Die digitale Patientenakte kommt – bloß wann?“ schreibt Willi Reiners in der Stuttgarter Zeitung (23. Mai). „Seit 2003 lässt die Bundesregierung an einem digital vernetzten Gesundheitswesen basteln. Doch Joseph Hausner, Focus Online, titelt bereits Ende März „Spahn hat schon jetzt gezeigt, dass er als Minister goldrichtig ist“. In seinem Kommentar schreibt er: „Trotz allem zeigt sich schon jetzt: Die Entscheidung, Spahn zum Minister zu machen, war goldrichtig. [...] Auch wenn er in seinem Ressort noch keine politischen Fakten geschaffen hat, so ist Spahn doch schon etwas Fundamentales gelungen. Er allein hat es geschafft, Debatten in Deutschland anzustoßen, die längst überfällig waren. Themen auf die Agenda zu bringen, die vorher niemanden interessierten.“ Andreas Mihm, Wirtschaftskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sieht dies genauso: „Selten hat ein Gesundheitsminister schon in den ersten Wochen im Amt so viel Aufsehen erregt wie Jens Spahn. Man kann ihm viel vorwerfen – klare Akzente setzt er aber in jedem Fall.“ Inzwischen wurden auch Fakten geschaffen. Knapp drei Monate nach Regierungsantritt wurde vom Bundeskabinett der Entwurf des Versichertenentlastungsgesetzes beschlossen. Damit löst Jens Spahn ein Versprechen des Koalitionsvertrags ein, für das vor allem die SPD gekämpft hatte. Ab 1. Januar 2019 sollen auch die jetzt von den Mitgliedern allein zu zahlenden Zusatzbeiträge zur Hälfte von den Arbeitgebern getragen werden. Arbeitnehmer und Rentner werden dadurch um 6,9 Milliarden Euro jährlich entlastet. Andreas Mihm schreibt dazu in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (24. April): „Spahns Plan ist nicht uneigennützig. Mit seinem ersten Gesetzentwurf zeigt er, dass er nicht nur den Koalitionsvertrag abarbeiten will. Er ist ehrgeiziger und verschafft sich das Image eines Beitragskillers. Zugleich sucht er die SPD als Partei vorzuführen, die das Geld der Beschäftigten lieber in der Kranken- oder Arbeitslosenversicherung hortet, als es zurückzugeben. Spahnscher Dualismus: mit der SPD kooperieren und sie im politischen Wettbewerb vorführen. Ein weiteres Kalkül mag dazukommen. Wer als Erstes Reserven auskehrt, könnte später glaubwürdiger die Notwendigkeit von Beitragssatzerhöhungen vertreten – ohne die etwa in der Pflege mehr und besser entlohntes Personal kaum zu gewinnen ist. Wirtschaftspolitik kommt dazu. Sinkt bei einigen Kassen der Zusatzbeitrag, wird der Arbeitgeberanteil geringer.“ Den Eingriff Spahns in die Kompetenzen der Selbstverwaltung sieht Andreas Mihm kritisch: „Das alles ist teuer erkauft. Mit irritierender Lässigkeit greift Spahn in Kompetenzen der Selbstverwaltung ein. Die aber hat durch Sozialwahlen eine eigene demokratische Legitimation und Kontrollfunktion. Warum sollen Kassen, die im Wettbewerb stehen, nicht Rücklagen aufbauen, um diese dann aufzulösen, wenn Einnahmen schwächer werden und Ausgaben anziehen? Eine Obergrenze für die Rücklagen der Kassen wäre ein weiterer Beleg dafür, wie sehr die Politik die Selbstverwaltung zu ihrem Büttel degradiert hat.“ das einstige Leuchtturmprojekt elektronische Gesundheitskarte ist längst zur Lachnummer geworden. Wie soll es damit weitergehen? Etwa zwei Milliarden Euro sind binnen 15 Jahren in die Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte geflossen. Die Bundesregierung hatte das Projekt angestoßen, die Spitzenverbände von Ärzten, Apothekern, Krankenhäusern und Krankenkassen haben es mit ihrem Gemeinschaftsunternehmen Gematik umgesetzt – und verhunzt.“ Im Interview mit der FAZ „Ein digitaler Zugang zu allen Leistungen des Staates“ (6. Mai) erklärt Gesundheitsminister Jens Spahn „Wir debattieren jetzt seit 14 Jahren über die elektronische Gesundheitskarte. Jenseits von kleinen Modellprojekten allerdings ohne große positive Effekte für die Patienten. Das ist völlig inakzeptabel. Mein Ziel sieht anders aus: Es muss cool werden, dabei zu sein, für Ärzte und Patienten, weil beide die Vorteile in der Versorgung erleben und von der besseren Behandlung profitieren.“ Der CDU-Politiker will die digitalen Lösungen für das Gesundheitssystem mit den Plänen für ein Bürgerportal koordinieren, das die Bundesregierung zurzeit plant. „Das soll dem Bürger den digitalen Zugang zu den Diensten aller Behörden eröffnen – von der Kommune bis zum Bund. [...] Entscheidend ist, dass der Zugang zum System, im Gesundheitsbereich wie überall anders auch, nicht mit unnötigen Schranken versehen wird. Die Zeit von Kartenlesegeräten an Desktop-Computern als alleinige, vorgeschriebene Login-Variante ZBW 7/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 ist in jedem Fall aus meiner Sicht nicht der Zugang, den sich die Bürger im Jahre 2018 mehrheitlich wünschen – und vor allem auch nicht nutzen werden.“ Trotz starker Kritik will Minister Spahn das Projekt jedoch nicht aufgeben. Er hat klargestellt, dass er an der Karte festhält. „Die Milliarde ist nicht umsonst investiert“, sagte er der Süddeutschen Zeitung (14. Mai). Sein Abteilungsleiter für „Digitalisierung und Innovation“ schrieb einen Brief an die Spitzenverbände der Krankenkassen und Ärzte, um klarzustellen, dass man das Projekt fortsetze. Nach einer „Vielzahl an öffentlichen Spekulationen“ um die Zukunft des Projekts wolle man betonen, dass es sowohl bei der flächendeckenden Installation der Verbindungsgeräte als auch bei der Nutzung der Chipkarte bleibe, heißt es in dem Schreiben, das der SZ vorliegt.“ Das e-GK-Projekt soll bis zum Sommer überprüft werden, um dann grundlegende Weichenstellungen vorzunehmen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat dem Gesundheitsminister freie Hand gegeben. 100 Tage nach Amtsantritt nimmt Die Welt die Arbeit von sieben Ministern unter die Lupe, darunter auch Gesundheitsminister Spahn (21. Juni). Tobias Kaiser schreibt: „Der CDU-Politiker sucht die Öffentlichkeit wie nur wenige andere Kabinettskollegen und dazu waren ihm seit Amtsantritt viele Themen recht: Armut und Hartz IV etwa, EU-Reformen und Grenzsicherung oder innere Sicherheit und der Islam. Erst in den letzten Wochen dringt er stärker mit Themen aus seinem Ressort durch, etwa wenn es um die Pflege geht. Dabei muss Spahn seine Arbeit nicht verstecken: Schon kurz nach Amtsantritt hat er ein sehr konkretes Programm für die ersten Monate angekündigt. Kein Wunder, schließlich ist der jugendlich daherkommende Politiker seit mehr als einem Jahrzehnt aktiv in der Gesundheitspolitik und gilt als ausgewiesener Fachmann der überaus komplexen Materie. Noch in diesem Jahr sollen erste Vorhaben durch den Bundestag: Die Rückkehr zur paritätischen Finanzierung etwa, die dafür sorgen soll, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Kassenbeiträge wieder zu gleichen Teilen zahlen. Oder das Sofortprogramm für die Pflege, das mindestens 13.000 neue Pflegekräfte vorsieht. Und die Terminvergabe bei Fachärzten soll durch zusätzliche Sprechstunden fairer werden. Diese Vorhaben mögen populär sein, auf Spahns Mist gewachsen sind sie allerdings nicht. Es sind Vorgaben aus dem Koalitionsvertrag, die teilweise den gesundheitspolitischen Überzeugungen von Spahn widerstreben. Voranbringen muss der Minister die Vorhaben trotzdem.“ Gregor Waschinski zieht im Handelsblatt eine erste Zwischenbilanz (21. Juni): „Im Verlauf des Frühjahrs trieb Spahn seine gesundheitspolitische Agenda voran. Als ersten Gesetzentwurf konnte er die Rückkehr zur hälftigen Finanzierung der Krankenkassenbeiträge von Arbeitnehmern und Arbeitgebern durch das Kabinett bringen, mit der die Bürger ab 2019 um 6,9 Milliarden Euro jährlich entlastet werden sollen. Abstriche musste er bei seinem Vorhaben machen, die Zusatzbeiträge über ein Abschmelzen der Krankenkassenrücklagen weiter zu senken. Gesundheitspolitiker von SPD und Union waren pikiert, dass der Minister in diesem Punkt ohne Absprache über den Koalitionsvertrag hinausgehen wollte. Nun kommen die zusätzlichen Entlastungen frühestens 2020, wenn Spahn zuvor den komplizierten Finanzausgleich der gesetzlichen Krankenversicherungen reformiert. Aus diesem kleinen Rückschlag hat der Neuminister gelernt. Sein Sofortprogramm für mehr Pflegestellen stimmte er genau mit den Koalitionsfraktionen ab, ehe er mit Eckpunkten an die Öffentlichkeit ging. Nächste Woche will Spahn den Entwurf vorlegen. Ebenfalls kurz vor dem Abschluss steht dem Vernehmen nach die Arbeit an dem Gesetz, mit dem Kassenpatienten schneller einen Arzttermin bekommen sollen. In Spahns Ressort lauern einige Unwägbarkeiten. Fraglich ist etwa, ob sich alle Verbesserungen in der Pflege überhaupt finanzieren lassen. Der Minister musste bereits eine Anhebung des Pflegebeitrags ankündigen. Und schafft es Spahn, tatsächlich Schwung in die Digitalisierung des Gesundheitssystems zu bringen? Zu viel Rebellion könnte bei diesen großen Aufgaben schaden.“ Die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele diskutierte Gesundheitsminister Spahn mit Dr. Wolfgang Eßer, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Die Zahnärztlichen Mitteilungen berichten Anfang Mai über seinen Antrittsbesuch beim Bundesgesundheitsminister, bei dem sich Spahn „offen für Argumente der Zahnärzte“ zeigt. „Das Hauptaugenmerk lag auf der Sicherstellung einer wohnortnahen, flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Versorgung.“ Anlässlich des Frühjahrsfestes von KZBV und BZÄK betonte Minister Spahn nochmals seinen Wunsch nach einem „konstruktiven Dialog“ mit den Zahnärzten: „Minister Spahn versprach, sich dafür einzusetzen, eine Versorgung auf hohem Niveau flächendeckend möglich zu machen. ‚Die Situation ist nicht perfekt‘, sagte er und verwies auf Problembereiche wie Pflege, Wartezeiten beim Arzt, die Mundgesundheit von Kleinkindern oder die von Pflegebedürftigen. ‚Daran müssen wir konkret arbeiten.‘ Den Patienten gehe es nur gut, wenn eine gute Versorgung gewährleistet sei. Und, so sagte er an die Zahnärzte gerichtet: ‚Wenn Sie unzufrieden sind, bin ich es auch‘.“ » gabi.billischek@izz-online.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2018
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