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Ausgabe 7/2018

30 Fortbildung Mutation.

30 Fortbildung Mutation. Zwar ist unter hundert Millionen Bakterien im Schnitt stets eins, das bei der Vermehrung zufällig eine Mutation in sein Erbgut einbaut und das dadurch durch Medikamente weniger verwundbar wird. Meads lag also nicht ganz falsch. Nur oft sind diese Resistenzgene schon weitergereicht, bevor der Patient das erste Antibiotikum bekommt. Wer ein Penicillin, Cephalosporin oder Chinolon verschreibt, muss deshalb immer damit rechnen, dass er den bereits resistenten Keimen einen Gefallen tut: Weil er ihnen im Körper freie Bahn verschafft. Sie müssen nun nicht mehr mit den Antibiotika-sensiblen Erregern um den knappen Raum und die beschränkten Nährstoffe kämpfen, sondern können sich ungestört ausbreiten. Je länger die Therapie verordnet wird, desto mehr Konkurrenten räumt das Mittel aus dem Weg. Und desto besser gedeihen die unempfindlichen Bakterien. Faktor Zeit. Als Irrtum hat sich auch erwiesen, hier auf den Faktor Zeit zu setzen. Lange hatte man geglaubt, dass Keime für die Bildung von Unempfindlichkeiten einen Preis zu zahlen haben. Sie büßen, dachte man, in anderer Hinsicht an Fitness ein. Kaum ist die Therapie zu Ende, würden sie deshalb schnell von konkurrenzfähigeren Artgenossen verdrängt. Inzwischen kennt die Medizin jedoch zunehmend Beispiele, bei denen sich die resistenten Mikroben auch bei untherapierten Patienten als die Stärkeren erwiesen. So konnten zum Beispiel 2015 Wissenschaftler von der Harvard Medical School im Fachblatt „Science Translational Medicine“ zeigen, dass zumindest bei Nagern Antibiotika unempfindliche Pseudomonas aeruginosa-, Acinetobacter- und Cholera-Bakterien infektiöser sind und sich aggressiver im Körper ausbreiten. Besonders ernüchternd: Die Antibiotika stimulieren die Mikroben noch zu anderen unerwünschten Dingen. So fühlen sich einige Keime durch sie erst ermuntert, ihre Resistenzen über Plasmide an andere Artgenossen weiterzugeben. Bei Mukoviszidose- Kranken und ähnlichen besonders intensiv behandelten Patienten lässt sich zudem beobachten, dass während der Therapie die Entstehung von unerwünschten Mutationen regelrecht angeregt wird. Dass solche fatalen Fehleinschätzungen erst jetzt auffallen, hat nach Einschätzung von Petra Gastmeier, der Leiterin des Instituts für Hygiene und Umweltmedizin der Berliner Charité, auch damit zu tun, dass die Medizin bis Ende der 90er Jahre das Problem gut ignorieren konnte: „Sobald neue Resistenzen auftauchten, gab es ja immer noch Ersatzmittel, auf die man zurückgreifen konnte“, sagt sie. Inzwischen sind diese Reserven aufgebraucht und mehr als zwei neue Wirkstoffe mit breiter Wirksamkeit sind nicht dazugekommen. Allerdings wirken Linezolid und Daptomycin vornehmlich gegen grampositive Erreger. Das Bundesgesundheitsblatt hat dem Problem gerade eine ganze Ausgabe gewidmet: „Wenn ein neues Antibiotikum auf den Markt kommt, dauert es nicht mehr als drei bis fünf Jahre, bis die ersten Resistenzen auftreten“, berichtet darin Esther-Maria Antão vom Zentrum für Infektionsmedizin der Freien Universität Berlin. Deshalb reich es nicht aus, auf neue Medikamente zu hoffen, glaubt sie, die Medizin muss dringend lernen, mit den alten besser umzugehen. MRSA-Stämme. Viele Krankenhausinfektionen werden durch Methicillin-resistente Staphylococcus-aureus-Stämme – kurz MRSA genannt – verursacht. Verbrauch. An Möglichkeiten dazu mangelt es nicht. Allein in Deutschland werden jedes Jahr in der Humanmedizin 700 bis 800 Tonnen Antibiotika verbraucht. Und dabei lassen sich verhängnisvolle Fehler nachweisen. Vor zwei Jahren berichteten Wissenschaftler in der Fachzeitung „Jama“, dass jede dritte Foto: Imago ZBW 7/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 31 ambulante Antibiotikaverschreibung ihrer hausärztlichen und internistischen Kollegen falsch war – sie wäre gar nicht nötig gewesen. Bei einer genaueren Analyse stellte sich heraus, dass man bei jedem zweiten Patienten mit Hals-, Nebenhöhlen- oder Mittelohrentzündung auch noch zum falschen Antibiotikum gegriffen hatte. Es war entweder gar nicht oder zu breit wirksam. Zahnmedizin. Anlass sich zu hinterfragen, gibt es allerdings auch in der Zahnmedizin. Immerhin wird hier in Deutschland etwa jedes zwölfte Antibiotikum verschrieben. Auf zwei Rezepte pro Woche bringt es laut Krankenkassen-Statistiken der Durchschnitts- Praxisinhaber. Studien würden darauf hinweisen, dass die Mittel auch hier oft nicht richtig und leitliniengerecht eingesetzt werden, schreibt Christin Löffler vom Institut für Allgemeinmedizin der Rostocker Universität in der Fachzeitung Implementation Science. Besonders „alarmierend“ sei der zunehmende und „irrationale“ Einsatz des Wirkstoffs Clindamycin, warnt der Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Orale Mikrobiologie und Immunologie der Uniklinik Aachen, Georg Conrads, nach einer Umfrage in 1400 deutschen Praxen. Dabei handelt es sich um einen wichtigen Reservewirkstoff mit einer hohen Nebenwirkungs- und Resistenzrate. In einer randomisierten Studie, dem Dream-Trial, will Christin Löffler in Zahnarztpraxen in Mecklenburg-Vorpommern prüfen, ob sich die Therapie durch Aufklärungsprogramme und Seminare optimieren ließe. Schließlich ändert sich auch in der Zahnmedizin der entsprechende Wissensstand kontinuierlich. Unter dem Titel „Antibiotika in der Zahnarztpraxis, wie gerechtfertigt sind sie“, haben Wissenschaftler im Jahr 2014 im International Dental Journal noch einmal alle bisherigen Indikationen in einem Review auf den Prüfstand gestellt. „Die Evidenz für den Einsatz für Antibiotika zur Verhinderung von Infektionen von chirurgischen Wunden im Mundbereich sind spärlich bis nicht existent“, so eine der Schlussfolgerungen des Autors Sukhvinder Oberoi von der Abteilung für Zahnmedizin und Public Health am Sudha College of Dental Sciences and Research im indischen Faridabad. Für die meisten dentoalveolären Eingriffe bei ansonsten gesunden Patienten sei deshalb eine antibiotische Prophylaxe weder notwendig noch empfehlenswert. Das gilt nach aktuellem Stand auch für Implantationen. Stattdessen empfiehlt eine Fachkommission des Robert-Koch-Instituts vor zahnärztlich-chirurgischen Behandlungen bei Patienten mit erhöhtem Infektionsrisiko oder bei speicheldichtem Wundverschluss eine lokale Schleimhaut-Antiseptik zu betreiben. Im Fluss sind die Dinge auch bei der Endokarditis-Prophylaxe: So rät die American Heart Association inzwischen, diese nur noch bei Hochrisiko-Patienten einzusetzen, also zum Beispiel bei Menschen mit einer künstlichen Herzklappe oder einer Endokarditis in der Vorgeschichte. Letztendlich sei es wahrscheinlicher, eine solche Infektion bei alltäglichen Tätigkeiten wie dem Zähneputzen zu bekommen als im Rahmen einer Operation, weiß Sukhvinder Oberoi. „Auch bei chronischen periodontalen Entzündungen sind in der Regel keine Antibiotika notwendig“, fährt er fort. Die einzige klinische Situation, in der in dieser Hinsicht für ihn eine gerechtfertigte Indikation zu erkennen ist, sind orale Infektionen mit Fieber und systemischen Streuungs-Anzeichen wie Lymphknotenschwellungen. Fest steht jedenfalls: Die Auseinandersetzung mit diesen neuen Fakten kann sich lohnen. Während die Rate der Carbapenem-resistenten Klebsiellen in Griechenland bei fast 62 Prozent liegt, ist sie in Ländern, in denen man zurückhaltender mit dem Wirkstoff umgeht, deutlich niedriger. In Deutschland bewegt man sich um die fünf Prozent, in Dänemark, Finnland und Schweden kommen solche Bakterien sogar fast nicht vor. Michael Brendler Antibiotikaverbrauch. Allein in Deutschland werden jedes Jahr in der Humanmedizin 700 bis 800 Tonnen Antibiotika verbraucht. Foto: Fotolia/john9595 Händedesinfektion. Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), stellen vor allem für Ärzte in Krankenhäusern eine besondere Herausforderung dar. Foto: dpa www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2018

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