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Ausgabe 7/2018

28 Fortbildung

28 Fortbildung Multiresistente Erreger Herausforderung für die moderne Medizin Bislang sind solche Fälle zum Glück noch selten: Dem Keim, den die 70-Jährige vor zwei Jahren in ein Krankenhaus in Nevada einschleppte, war mit keinem Antibiotikum beizukommen – trotz vierzehn verschiedener Versuche. Insgesamt, so stellte sich im Labor heraus, war das Klebsiellen-Bakterium resistent gegen 26 verschiedene Substanzen. Den Ärzten blieben praktisch keine Handlungsoptionen. Zwei Monate nach ihrer Einlieferung starb die Frau an einer Blutvergiftung. Den Erreger, so stellte sich heraus, hatte sie sich bei einem Indienaufenthalt eingefangen – wo sie mit einer Oberschenkel- und Hüftfraktur im Krankenhaus gelegen hatte. Biofilm. Nahaufnahme antibiotikaresistenter Bakterien: Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa, Mycobacterium tuberculosis, Klebsiella, Staphylococcus aureus, MRSA. Foto: Fotolia/Kateryna_Kon ZBW 7/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 29 Ein schrecklicher Einzelfall? Bislang ja, glaubt der Infektiologe James Johnson von der Universität Minnesota. „Aber ich denke, es handelt sich auch um einen Vorboten auf die Übel, die wir in Zukunft erleben werden“, verkündete er der amerikanischen Presse. Gerade das erwähnte Bakterium wird zum zunehmenden Problem: Gegen Klebsiella pneumoniae ist in manchen Ländern Europas bei weniger als 50 Prozent der Patienten mit den wichtigsten Reservemitteln noch etwas auszurichten, den Carbapenemen. Gefürchtet ist der Erreger nicht nur wegen der von ihm oft verursachten Lungenentzündungen und Blutvergiftungen bei Intensivpatienten mit Mortalitätsraten von bis zu 50 Prozent. Er spielt auch immer wieder bei schweren Infektionen von Neugeborenen eine Rolle. Colistin, eine beliebte Carbapenem-Alternative, ist inzwischen auch nur noch bedingt gegen ihn einsetzbar. Die entsprechenden Resistenzgene haben sich inzwischen von Asien aus bis nach Europa verbreitet, wahrscheinlich stammen sie aus der Tierzucht, wo das Mittel ebenfalls eingesetzt wird. Allerdings sieht die Lage bei anderen Keimen wie E.Coli nicht viel besser aus. Hier kann bei alarmierenden 58,6 Prozent der Isolate aus europäischen Krankenhäusern schon mindestens ein Wirkstoff nichts mehr ausrichten. 30.000 bis 35.000 Patienten fangen sich jedes Jahr in deutschen Kliniken einen multiresistenten Erreger ein, geschätzte 4000 kostet er das Leben. Wenn die Entwicklung so weitergeht“, sagt Winfried Kern, der Leiter der Infektiologie der Universitätsklinik Freiburg, „stehen wir bald bei manchen Erregern entweder mit leeren Händen da oder müssen schlechter verträgliche und unsichere Kombinationen einsetzen.“ Erfindung. Schon 1945 hatte der Penicillin-Entdecker Alexander Fleming seine Kollegen gewarnt: Wer gedankenlos mit seiner Erfindung herumspiele, sei moralisch dafür verantwortlich, wenn Patienten irgendwann einmal an resistenten Bakterien sterben. Dass diese Warnung scheinbar ungehört verhallte, hat auch damit zu tun, dass man zunächst nicht wusste, wie man mit seiner Erfindung richtig umgehen sollte. Zur Verwirrung beigetragen hat maßgeblich der Infektiologe Manson Meads von der Boston University. Der riet 1945 seinen Kollegen im New England Journal of Medicine, die Medikamente selbst dann noch zwei bis drei Tage weiter zu verordnen, wenn der Patient seine Krankheit längst überwunden hat. Je gründlicher man einen Keim ausrotte, so seine Logik, desto seltener seien Rückfälle zu befürchten. Und vor allem: Es bilden sich auch keine Resistenzen, denn wo keine Bakterien mehr übrig bleiben, gibt es auch keine, die unempfindlich werden können. Sieben bis zehn Tage Mindestdauer, so lautet seitdem die Grundregel der Antibiotika-Therapie. Irrtum. Ein verhängnisvoller Irrtum, wie man heute weiß. Denn statt die Bildung von Resistenzen zu verhindern, erreichte man durch Meads Arbeitsanweisung oft das Gegenteil, man züchtete sie geradezu: MRSA-Test. Rechts eine typische MRSA-Kolonie bei Anzucht von positiven Abstrichen. Bei Vorhandensein von MRSA bilden sich rosa- bis lilafarbene Kolonien auf der Agarplatte. Bildung von Resistenzen. Unter hundert Millionen Bakterien ist eins, das bei der Vermehrung zufällig eine Mutation in sein Erbgut einbaut und durch Medikamente weniger verwundbar wird. „Die Eine-Wochen-Regel als solche war schon immer schlecht begründet oder sogar unsinnig“, sagt Winfried Kern. Unter anderem, wie die Mikrobiologen inzwischen wissen, weil es ist nicht möglich ist, den Bakterien bei der Entwicklung von Unempfindlichkeiten zuvorzukommen. Sie sind schon vorhanden, bevor überhaupt die Therapie beginnt. Schon Alexander Fleming war, als er 1928 das Penicillin entdeckte, umgeben von Mikroben, die in der Lage waren, sein Mittel zu zerstören. Selbst in 30.000 Jahre altem Permafrostboden wurden inzwischen Resistenzgene gegen β-Lactame, Tetrazykline und Glykopeptide entdeckt. Auf multiresistente Bakterien stieß man sogar in einer Höhle bei New Mexico, die seit mehr als vier Millionen Jahren isoliert war. Denn schon damals benutzten die Keime die Substanzen, um sich selbst untereinander zu bekriegen. Foto: Fotolia/oleksandr Foto: Fotolia/jarun011 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2018

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