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Ausgabe 7/2018

18 Titelthema Politik

18 Titelthema Politik diskutiert über Beitragssenkungen in der GKV Quo vadis Kassenbeitrag? Die Beschäftigungslage in Deutschland ist hervorragend, die Arbeitslosigkeit historisch niedrig, dementsprechend sind die Kassen der Sozialversicherungen prallvoll – das gilt auch für viele Krankenkassen. Ausgestattet mit einem sensiblen Gespür für die Stimmungen in der Bevölkerung hat der neue Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) gleich zu Beginn seiner Amtszeit das Potenzial dieser Situation erkannt. „Wir wollen, dass Krankenkassen Rücklagen haben für schlechtere Zeiten, für Unwägbarkeiten“, betont der umtriebige Minister. „Aber sie sollen nicht übermäßig Geld horten, denn es ist das Geld der Beitragszahler.“ Die Krankenkassen können selbst über Zusatzbeiträge entscheiden, der Gesetzgeber legt aber die Rahmenbedingungen fest. Ursprünglich sollte mit dem Versichertenentlastungsgesetz nicht nur die Beitragsparität zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wiederhergestellt werden. Vorgesehen waren auch Höchstgrenzen bei den Finanzreserven der Krankenkassen mit entsprechenden Abbaumechanismen. Demnach sollten die Rückstellungen nicht höher sein als die Summe, die in einem Monat für sämtliche Kassenleistungen aufgebracht werden muss. Momentan horten 68 der gut 110 Krankenkassen Überschüsse über diese Grenze hinaus, einige sogar das Vierfache. Entsprechend groß – mehrere hundert Euro jährlich für Normalverdiener – könnten die Entlastungen sein. Versicherte anderer Kassen würden hingegen leer ausgehen. Insgesamt könnte rund ein Viertel der 20 Mrd. Euro Finanzreserven der Gesetzlichen Krankenkassen an die Versicherten zurückfließen. Widerspruch. Für mehr Netto vom Brutto zu werben, ist meistens populär, und so hat auch in dieser Debatte zunächst die Schlagzeile verfangen, Spahn sorge höchstpersönlich für niedrigere Kassenbeiträge. Welche weitergehenden Folgen mit einer solchen Maßnahme verbunden sein können, bleibt dagegen weitestgehend der Diskussion in Fachkreisen vorbehalten. Und so stieß Spahn bei zahlreichen Gesundheitspolitikern nicht nur der Opposition und des Koalitionspartners, sondern auch innerhalb der eigenen Partei auf deutlichen Widerspruch – nicht zuletzt, weil dieses Vorhaben ohne Abstimmung mit den Regierungsfraktionen Eingang in den Gesetzestext fand. Die gesundheitspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion Karin Maag erklärte, die Maßnahme dürfe „nicht zulasten der übrigen Versichertengemeinschaft und Krankenkassen“ gehen. Politiker von SPD und Grünen betonten, die hohen Überschüsse stünden einem enormen Nachholbedarf in Bereichen Foto: Fotolia/BK wie der Pflege sowie der Versorgung im ländlichen Raum gegenüber. Reform des Morbi-RSA. Zudem wurde darauf verwiesen, dass die Ursache für die hohen Überschüsse mancher Kassen mit der Verteilung über den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) zusammenhänge. Mittlerweile hat das BMG auf die Kritik reagiert und einen Kompromissvorschlag vorgelegt, demzufolge der Mechanismus frühestens ab 2020 greifen solle, wenn bis Ende 2019 eine Reform des Morbi-RSA erfolgt sei. Jens Spahn will die Reform des Finanzausgleichs noch im Herbst 2018 angehen. Eine unfaire Mittelverteilung durch den fehlerhaften Risikostrukturausgleich haben die Kassenverbände schon länger bemängelt. Entsprechend positiv wurde hier die Meldung aufgenommen, dass „kurzfristige Maßnahmen zur Zwangsabsenkung von Zusatzbeiträgen“ nun zunächst vom Tisch seien. Ausblick. Es wird abzuwarten sein, was die Koalition bei der Reform des Morbi-RSA umgesetzt bekommt. Klar scheint indessen, dass auf den gesamten Bereich von Gesundheit und Pflege in den nächsten Jahren eine gewaltige Kostenlawine zurollen wird, insbesondere weil verschiedene gesundheitspolitische Vorhaben der Bundesregierung noch nicht finanziert sind. Eine Erhöhung des Beitragssatzes zur Pflegeversicherung ist bereits angekündigt. Insofern ist eine umfassende, nachhaltige Strategie dringend geboten, um eine flächendeckend gute, menschenwürdige Versorgung aller Bürgerinnen und Bürger bis ins hohe Alter zu gewährleisten. Hier hat der Gesundheitsminister die Chance, anstelle kurzfristiger Effekte strukturell etwas zu bewegen. Denn schlussendlich ist niemandem geholfen, wenn für manche Versicherte Rückzahlungen ausgeschüttet werden, das Defizit in anderen Feldern aber immer größer wird. » holger.simon-denoix@kzvbw.de ZBW 7/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 19 Wahlmöglichkeit für Beamte zwischen GKV und PKV Das „Hamburger Modell“ Debatten um die Struktur des öffentlichen Gesundheitswesens sind so alt wie das Gesundheitswesen selbst. Es entspricht dabei durchaus einem demokratischen Geist, wenn von unterschiedlichen politischen Wettbewerbern unterschiedliche Konzepte und Ideen vertreten werden, wie das Gesundheitssystem aussehen soll und wie es auf die Herausforderungen der Zukunft ausgerichtet sein soll. Oft genug verengt sich jedoch der öffentliche Diskurs auf einzelne Schlagworte. So bestimmt etwa die Frage „Für oder gegen die Bürgerversicherung?“ heute jedes gesundheitspolitische Credo, während komplizierte Sachthemen häufig unbeachtet von der Öffentlichkeit in Expertengremien diskutiert werden. Während es für die Einführung einer Bürgerversicherung weder eine parlamentarische Mehrheit gibt und dies auch keinen Eingang in den Koalitionsvertrag von Union und SPD fand, gibt es jedoch derzeit auf Länderebene Entwicklungen, die diesem brisanten Thema eine ungeahnte Dynamik verleihen könnten. Hamburger Sonderweg. Der Hamburger Senat hat beschlossen, dass seine Beamten ab August 2018 wählen dürfen, ob sie sich privat oder gesetzlich versichern wollen. Zwar ist diese Möglichkeit nichts gänzlich Neues. Auch bisher können sich Beamte gesetzlich versichern, sie müssen die Beiträge dann jedoch allein tragen, während der Dienstherr privat versicherte Beamte über die Beihilfe unterstützt. Für die meisten lohnt es sich daher nicht, weil sie so aus der staatlichen Fürsorge in Form der Beihilfe herausfallen würden und die GKV-Beiträge komplett selber tragen müssten – ein Arbeitgeberanteil wie bei anderen Beschäftigten wird nicht bezahlt. Wahlmöglichkeit. Mit dem „Gesetz über die Einführung einer pauschalen Beihilfe zur Flexibilisierung der Krankheitsvorsorge” können Hamburger Beamte künftig wählen, ob sie sich für ihre Krankenversicherung eine Pauschale in Höhe des einkommensabhängigen hälftigen Versicherungsbeitrags für die GKV auszahlen lassen, oder ob sie die bislang übliche Kombination von privater Krankenversicherung und individueller Beihilfe nutzen. Zudem kann die Pauschale auch als Zuschuss zur Privatkasse ausgezahlt werden. Sie entspricht dem hälftigen Versicherungsbeitrag der PKV-Vollversicherung für den Basistarif, der den Leistungsumfang der GKV abdeckt. Aufgrund von bundesgesetzlichen Regelungen können derzeit jedoch nur neue Beamte sowie bereits gesetzlich Versicherte von der neuen Wahlfreiheit Gebrauch machen. Modellcharakter. Dennoch: Würde es nur um eine zusätzliche Option für einen begrenzten Teil der Beamtenschaft eines kleinen Bundeslandes gehen, wäre das Thema kaum einer Meldung in den überregionalen Medien wert. Brisanz gewinnt es allerdings dadurch, dass viele Beobachter dem Gesetz aus Hamburg bereits Modellcharakter attestieren und entsprechend politisch bewerten. Weitere Bundesländer wie Thüringen oder Bremen haben ihre Offenheit für ein entsprechendes Modell signalisiert. Auch in Niedersachsen und Schleswig-Holstein gab es vermehrt Sympathien dafür, wobei hier aufgrund der politischen Mehrheitsverhältnisse zunächst nicht mit konkreten Initiativen zu rechnen ist. Von der schwarz-gelben Landesregierung in Nordrhein-Westfalen wurden dagegen nicht nur die politisch begründete Ablehnung des Modells, sondern auch verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht. Auch bei den Privaten Krankenversicherern, dem Beamtenbund und Vertretern der Ärzteschaft wurde Kritik laut: Frank-Ulrich Montgomery, Präsident der Bundesärztekammer, etwa sprach von einer „Einführung der Bürgerversicherung durch die Hintertür“. Wechsel. Fakt ist: Ungefähr die Hälfte der 8,8 Millionen Privatversicherten in Deutschland sind Beamte und ihre Angehörige. Sollte hier etwas ins Rollen kommen und Beamte in großer Zahl in die GKV wechseln, würde dies das bisherige System grundlegend infrage stellen. Denn trotz der weit verbreiteten Wahrnehmung, dass das Beihilfesystem eine Privilegierung schafft, kann es auch für Beamte handfeste Vorteile geben, in die GKV zu wechseln, etwa wenn sie eine Vorerkrankung mitbringen oder viele Kinder haben. In diesem Fall kann die Prämie der Privatversicherung trotz Beihilfe schnell höher liegen als der Kassenbeitrag, in dem die Kinder kostenlos mitversichert sind. Dazu kommt: Ist man erst einmal für einen längeren Zeitraum privat versichert, kommt man kaum je wieder heraus und kann auch nicht vom Wettbewerb zwischen verschiedenen Kassen profitieren. GKV-Versicherte können dagegen jederzeit die Kasse wechseln, wenn sie mit Service, Leistungsspektrum oder der Höhe des Zusatzbeitrags nicht einverstanden sind. Fazit. Wie viele Beamte in Hamburg von der neuen Möglichkeit Gebrauch machen werden, ist noch nicht absehbar. In jedem Fall ist der Hansestadt mit dieser Maßnahme die bundesweite Aufmerksamkeit gewiss, und die politische Debatte um die Struktur unseres Gesundheitswesens wird neuen Auftrieb erhalten. » holger.simon-denoix@kzvbw.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2018

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